Mittwoch, 27. Juni 2012

Véronique Olmi: In diesem Sommer


Was jetzt zur Sommerzeit auf den ersten Blick wie eine amüsante, leichte Sommerlektüre daher kommt, ist, und das wird sehr schnell klar, ein ausgesprochen subtiler und lesenswerter Roman, klug, amüsant und leicht auf eine ganz besondere Weise.

Drei unterschiedliche Paare treffen sich zu einem verlängerten Wochenende in einem Haus am Meer, die Kinder des Gastgeberehepaares bringen noch Freund und Freundin mit. Das Ambiente ist natürlich malerisch, Terrasse, gutes Essen, das Meer. Friede, Freude, Eierkuchen. Aber denkste!

In diesem Jahr ist alles ganz anders. Delphine und Denis, die reichen Gastgeber haben ihre Trennung noch nicht ausgesprochen; Nikolas und Marie zelebrieren eine demonstrative Nähe, daß man sich fragt, warum leben nicht alle Paare sechzehn Jahre glücklich miteinander und haben unglaublich guten Sex solange; Lola macht’s wohl richtig und bringt auch in diesem Jahr einen anderen Liebhaber mit, einen jugendlichen Liebhaber natürlich und die pubertierende Tochter von Delphin und Denis mit ihrer Freundin tun keinen Handschlag und lassen sich bedienen. Eigentlich müßte, könnte doch alles so schöööön sein.

Mit einem Zitat von Joyce Carol Oates stimmt Véronique Olmi den geneigten Leser auf dieses Wochenende ein: „Und das tröstete mich damals und tröstet mich heute: Alles, wovon ihr glaubt, ihr hättet es euch ausgedacht, ist real. Man muß es nur überleben.“

Das deutet nicht unbedingt auf ungetrübte Sommerfreuden hin. Und dann ist man auch schon drin in einer wunderbar erzählten Geschichte und kann wirklich das Mäuschen sein und dabei zulesen, wie Olmi, Stück für Stück, diese Klischees auf recht behutsame Art und Weise auseinander nimmt.

Und dabei hat diese Frau Sätze drauf, da schlackern mir die Augenlieder. Es schien mir, also lobte sie gerade noch eine wunderbare Fassade und nach dem Komma deutet sie auf die großen Risse und den abgebröckelten Putz. In ihren Dialogen gibt es eine unglaubliche Offenheit, denn ab einem bestimmten Punkt scheinen fast alle Figuren darin ihre Fassaden, Masken und eingeübten Verhaltensweisen fallen zu lassen.

Es gibt noch eine weitere Besonderheit: Man entwickelt keine Vorurteile, wenn es um die Beurteilung von Recht und Unrecht, oder Schuld geht. Sympathien für den einen oder anderen Standpunkt mögen sich einschleichen bis man erkennen muß, daß auch der oder die vermeintlichen Kontrahenten sympathisch sind. Subtil, aber nicht subversiv.

Übrigens: Man kann das Buch ruhig mit an den Strand nehmen und ich denke mal, für so manche Begebenheiten hat sich danach der eigene Blick geändert und ein gutes Gefühl macht es auch.


Véronique Olmi: In diesem Sommer

Verlag Antje Kunstmann
Coverfoto: Trevillion, Shutterstock/svehlik



Dienstag, 26. Juni 2012

Fabio Stassi: Die letzte Partie


Das war mal wieder ein Roman, sprachlich und stilistisch, vom Allerfeinsten! Es ist der dritte Roman von Fabio Stassi, der 1962 auf Sizilien geboren wurde, und 2009 auf deutsch bei Kein & Aber erschienen ist.

José Raul Capablanca ist die Hauptfigur, ein Kubaner, und den Schachspielern unter euch muß ich nicht sagen wer das war. Es handelt sich also um die Geschichte einer realen Person. Ich weiß nicht wie frech Stassi in seiner Recherche vorgegangen ist, aber was ich gerade über Capablanca googelte und bei Wikipedia fand, las sich wie eine Personen- und Zeitangabe zu diesem Roman. Das nimmt mich noch mehr ein, für diesen klugen Autor, der vielleicht sogar ein Schlitzohr ist und der selber geschrieben hat: „Aber so ist es nun einmal mit Romanfiguren: Im Grunde Diebe und Lügner, verfolgen sie doch ihre jeweilige Wahrheit, mag sie auch noch so klein und unbedeutend sein.“

Capablanca wird 1888 geboren, guckt sich bei seinem Vater schon als sechsjähriger das Schachspielen ab, der ihn auslacht, aber dann doch mit ihm spielt. Als Wunderkind spielt danach José nicht nur seinen Vater an die Wand, sondern bis zu seinem 13. auch alle anderen Kubaner. Und irgendwann trifft er auf den Russen Alexander Aljechin bei irgendeinem Schachturnier, bei dem der Zar noch das Preisgeld stiftete, und die beiden nebenher noch darum wetteten, wer als erster die Geliebte des Großfürsten ins Bett bekommt. Dieser Schlenker sei erlaubt und macht auch deutlich, daß dies nicht nur ein Roman für Schachliebhaber ist. Einen ganz kurzen Auftritt haben später auch noch Stalin und Che Guevara, was unter dichterische Freiheit sicher fällt. Nicht erfunden ist die Tatsache, das Casablanca eine wunderschöne Frau geheiratet hatte, eine russische Prinzessin.

Dieser 236 Seiten zählende Roman hat 64 Kapitel!!! Das braucht niemanden zu erschrecken, der überlegt diesen Roman lesen zu wollen. Im 58. Kapitel, also zum Ende hin, gewährt Capablanca ein tiefen Einblick in sich selbst und gleichzeitig einen Ausblick auf den Autor:

„Mehrere Male hatte er daran gedacht, die Regeln zu verändern und neue Figuren einzufügen. Ein Fabeltier oder ein Symbol für den modernen Krieg. Er spürte, das dieses uralte Spiel noch immer, und zwar auf höchst dramatische Weise, das menschliche Schicksal darstellte, doch das es an der Zeit war, dieses Schicksal zu ändern. Vielleicht könnte man einen Engel aus Holz schnitzen und ihn im Tiefflug über jede in einem Remis geendete Partie schweben lassen, um wenigstens im Spiel den Frieden zu simulieren. Er wußte nur zu gut, daß man sich am Ende an das Leben klammerte und daß nicht einmal die Musik oder eine vollkommene Partie einem die Illusion vermitteln konnte, seines Schicksals enthoben zu sein.“

Abschließend will ich noch kurz zitieren, was Fabio Stassi selbst zu diesem Roman, auf der letzten Seite als Danksagung, geschrieben hat:

„Dieses Buch hat vierundsechzig Kapitel, ebenso viele, wie ein Schachbrett Felder hat. Vierundsechzig kleine weiße und schwarze Quadrate, auf denen die Geschichte spielt, die es erzählt. Vielleicht deshalb, weil Romane für mich mehr mit der Geometrie und der Mathematik des Schachs zu tun haben als mit jener undefinierbaren und ungreifbaren Sache, die wir Literatur nennen. Sie sind für mich ein Duell aus Eröffnungen und Endspielen, geheime Strategien und Figurenopfern.“






Fabio Stassi: Die letzte Partie

2008 by Fabio Stassi
2009 Deutsche Erstausgabe by Kein & Aber
Coverfoto: Giuselle Cavalli, Solitario, 1948

Samstag, 23. Juni 2012

Robert Haasnoot: Der Erinnerer


Ich liebe handliche Romane, die ich an ein oder zwei Tagen lesen kann: Ein Tag, ein Buch! Die ersten fünfzig Seiten am Vorabend vor dem Einschlafen wie eine verheißungsvolle Einstimmung und am nächsten Tag, voller Neugierde und Erwartung, in Abgeschiedenheit und Ruhe zu Ende lesen. „Der Erinnerer“ hat 207 Seiten.... und wenn es gut war, klingt es noch eine Zeitlang in mir nach.

Die Möglichkeit, daß ein kleines, pieseliges holländisches Dorf , den Stoff für eine erzählenswerte Geschichte hergeben könnte hat mich überrascht und schnell merkte ich, daß ich mich auskannte in dieser Gegend, auch wenn mir der Ort Zeewijk nichts sagte und die Geschichte um 1900 handelte. In diesem Dorf lassen sich ungewöhnlich aggressive Raaben im Kirchturm nieder, ein Traum von einem heiligen Ort in den Dünen wird von den meisten Dorfbewohnern geträumt und eine Kaninchenseuche bricht aus und dies alles macht die Runde unter den strenggläubigen Bewohnern des Küstendorfes und treib eigentümliche Blüten des Aberglaubens. Der Erinnerer ist der Chronist des Dorfes, der die Aufgabe hat, alles aufzuschreiben, wie seine Vorfahren vor ihm, auch wenn sich für diese Chroniken und Annalen nicht mal mehr die Gemeindeverwaltung in Den Haag interessiert, oder die Familie des Barons, die über Jahrhunderte hinweg, die Erinnerer bezahlt hatte. Und dennoch tut dieser Erinnerer nichts anderes, als alles aufzuschreiben und das Ganze liest sich dann wie ein fesselndes Märchen. Unheimlich und gruselig fühlt es sich zunächst an bis dann die Protagonisten immer deutlicher und menschlicher werden.

Fasziniert hat mich Haasnoots Schreibstil! Noch ein Vorurteil, welches ich ablegen mußte, denn mir fiel auf Anhieb kein bedeutender holländischer Schriftsteller ein. Dieser Roman „klingt“ wie das sanfte Meeresrauschen an der Küste und gelegentlich nimmt die „Brandung“ zu.

.... und es klingt immer noch nach in mir!


Robert Haasnoot:
Der Erinnerer

2005 Robert Haasnoot
für die deutsche Ausgabe 2008 Berlin Verlag GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Nina Rothfos und Patrik Gabler, Hamburg unter Verwendung einer Fotographie von James Nelson/Getty Images








Freitag, 15. Juni 2012

David Zindell: Neverness



Es muß wohl in den 1980er oder 1990er Jahren gewesen sein, da gingen Fantasy- und Science-fictionliteratur eine Beziehung ein und brachten einige Bastarde auf die Welt. Neverness erschien 1988 und auf deutsch 1991. David Zindell gilt als Fantasy- und Science-fiction Autor. Es war die Zeit nach „Der Wüstenplanet“ und der galt damals als Maß der Dinge.

Entsprechend pries Heyne Neverness an: „Das Kolossalgemälde einer fremdartigen Welt, das Frank Herberts „Der Wüstenplanet“ an Größe und Detailreichtum übertrifft.“

Okay: Neverness ist eine Eiswelt. Wie einfallsreich.

Seit ein paar Wochen versuche ich nun diesen abgefahren, abgedrehten und abgefuckten Schmöker zu lesen!

Warum schmeiße ich ihn nicht in die Tonne, werdet ihr Fragen, oder warum lasse ich das Buch nicht in der U-Bahn liegen?

Tja, Jungs und Mädels: Das geht nicht! Es ist verdammt gut geschrieben!

Abgefahren, ja!
Abgedreht, und wie!!
Abgefuckt, daß ich es unbedingt bis zum Ende lesen will, auch wenn es mir manchmal haarsträubend erscheint!!!


Dienstag, 12. Juni 2012

Ute Scheub: Das falsche Leben



Ein Buch, welches „Das falsche Leben“ heißt, im Untertitel „Eine Vatersuche“ trägt und von einer Ute Scheub geschrieben wurde, auch wenn sie es mir dediziert hat, kann eigentlich nur dazu verurteilt sein, in meiner Bücherwand zu verstauben; es sei denn, ich könnte es verschenken. In den letzten sechs Jahren war das nicht der Fall und allem Anschein nach dringe ich jetzt in meiner Bücherwand in Welten vor, die ich nie betreten habe und wo Drachen hausen.

Das falsche Leben ist ein unglaublich beeindruckendes Buch für mich gewesen.

Scheubs Vater hat sich 1969 vor Günter Grass, auf einem Kirchentag in Stuttgart, und vor zweitausend Menschen hingestellt, seine „Kameraden von der SS“ gegrüßt und dann mit Zyankali vergiftet.

Es ist selten, daß ein Klappentext tatsächlich mal beschreibt, was für ein Buch er da umschließt. Ich zitiere mal: „Persönlich, anrührend, manchmal geradezu beklemmend zeichnet Ute Scheub das falsche Leben des Mannes, der ihr Vater war – und liefert das Porträt einer ganzen Generation.“

Das ist diesmal absolut zutreffend! Und es ist noch mehr drin.

Wenn jetzt einer meint, was soll denn das, nach so langer Zeit. Die meisten Täter sind doch tot! Das interessiert doch keinen Menschen mehr, dem sei gesagt: Täter hatten Kinder, die Kinder sind heute Erwachsen und haben Kinder. Die Kinder der Täter sind in einer Republik aufgewachsen, die es nie ernst gemeint hat, mit einer Aufarbeitung und Verarbeitung der NS-Zeit. Damals aktive Nazis haben bis zu ihrem natürlichen Ende diese Republik verantwortlich mit verwaltet und gestaltet. Und ihre Kinder sind heute in verantwortlichen Positionen.

Ute Scheub beschreibt ein Traumata, nicht nur ihres Vater, auch das einer Gesellschaft.




Ute Scheub
Das falsche Leben
2006 Piper Verlag

Freitag, 8. Juni 2012

Gertrud Höhler: Jenseits der Gier



Was mir zuweilen unbegreiflich ist, ist meine Dummheit. Aber das liegt eben wohl an dieser. Da kenne ich diese Frau seit über dreißig Jahren durch unterschiedliche Gespräche und Begegnungen und ich Idiot habe bis vorgestern, kein einziges Buch von ihr gelesen. Es war also allerhöchste Zeit, daß ich mich in diese Frau verliebe und nun hoffentlich vor einer leidenschaftlichen Beziehung mit ihr stehe.

Die Berliner Morgenpost schrieb ungefähr vor fünf Jahren über sie: „Leute wie Gertrud Höhler hetzen heute wie Hirtenhunde um die Menschenherde, um ihr die Richtung zu weisen.“

Nach dem ersten Buch, daß ich von ihre gelesen habe, Jenseits der Gier aus dem Jahre 2005, kann ich das nur bestätigen. In diesem Buch beschreibt sie den Begriff und das Phänomen der Gier. Was Gier ist, was Gier bedeutet. Dabei geht es um die Gier in unserer heutigen Gesellschaft, in unserem weltweiten Wirtschaftssystem. und was das alles aus uns Menschen und mit uns Menschen macht Sie kommt aber dabei auf unsere deutsche Gesellschaft zurück.

Der Titel kündet gleichzeitig auf eine Vision hin. Er drückt die Hoffnung aus. Höhler zeichnet klar die alte Gesellschaft auf und eben wie ein Hirtenhund, bellt sie in Richtung eines unbekannten gelobten Landes. Und wie es aussieht, sind schon Hunderttausende Deutsche unterwegs, während die Zurückgebliebenen immer noch gierig am Raffen und Fressen sind und ihre Spielchen spielen.

In den ersten Kapiteln habe ich noch fleißig, einzelne Zeilen der Absätze angestrichen, bis ich nach zwei Kapitel merkte, daß Gertrud Höhler eine kluge und vorsorgliche Frau ist. Vor dem Ende eines jeden Kapitels faßt sie das wichtigste zuerst unter etwas naiv anmutenden Zeichnungen zusammen und dann am Ende jedes Kapitel in ganz konkreten Sätzen. Diese Sätze waren immer identisch mit denen, die mir persönlich wichtig schienen.

„Niemand von uns hat gar keinen Einfluß. Jeder, der etwas verstanden hat, fühlt, wie klein sein Radius ist. Würde aber jeder den seinigen ausfüllen, hätten wir ein anderes Deutschland.“ Sätze wie diese in diesem Buch, machen Mut.

Ja, dieses Buch macht Mut: Mut zur Besinnung, zum Nachdenken, zum Handeln. Und auch dazu, selbstbewußt, stark und vor allem freundlich zu sein.

Meine Bücherwunschliste hat sich nun um alle Bücher von Gertrud Höhler verlängert.



Gertrud Höhler
Jenseits der Gier

Umschlagfoto: Benno Kraehahn
Econ Verlag, Berlin
Copyright: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2005
Econ ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH




Mittwoch, 6. Juni 2012

Benedict Wells: Spinner


Für mich „alten Sack“, war es ein natürlich ein ausgesprochenes Vergnügen Benedict Wells ersten Roman „Spinner“, den er mit 19 Jahren geschrieben hat, zu lesen..... Lesen? Das war ein Leserausch! Ich habe ihn verschlungen und konnte erst aufhören, als ich in der letzten Zeile war und rauchte dabei zwei Schachteln Zigaretten und trank zwei Kannen Kaffee.

Jesper Lier, der Ich-Erzähler, zwanzig jährig, lebt seit einem Jahr in Berlin, in einem Kellerloch hausend und schreibt ein Monstrum von Roman mit über eintausenvierhundertundnochwas Seiten. Er erzählt drauf los, und der Leser erlebt seine letzte Woche in Berlin, an deren Ende er nach München zu seiner Mutter und seinem Bruder fährt, um bei deren Umzug zu helfen.

Klar: Jesper Lier ist das, was man so einen „Spinner“ nennt. Nomen est omen ; wenn man schon Jesper heißt. Dieser Jesper hat es aber in sich: Er ist klug, er denkt, er ist empfindsam, was mir diesen Burschen unglaublich sympathisch machte und er hat „diese eiskalten Hände“. Menschen schrecken immer zurück, wenn sie ihm die Hand geben.

Das ich dieses Buch in einem Rutsch durchlesen mußte, liegt eben auch daran, daß ich ein „alter Sack“ bin, wie Jesper mich wohl bezeichnen würde, und ich unglaublich neugierig darauf bin, wie so ein junger Mensch tickt, denkt, empfindet und die Welt in seiner Wahrnehmung erlebt. Und ganz genau das ist es, was Benedict Wells Jesper Lier erzählen läßt und mich gefangen und eingenommen hat. Dabei nimmt Wells kein Blatt vor den Mund, warum auch und Jesper Lier scheint durchaus in der Lage und bereit zu sein, auch auf „alte Säcke“ zu hören.

„Ich grinste auch, bis mir unerwartet einfiel, daß Biehler vielleicht noch gar nicht von Bornings Tod erfahren hatte. Ich wußte zwar, daß er bei Borning in München Germanistik studiert und seine Doktorarbeit gemacht hatte, aber ich hatte keine Ahnung wie gut die beiden befreundet waren. Durchaus möglich, daß es Biehler noch niemand gesagt hatte. Ich meine, nehmen wir an, du stirbst: Die fünfzehn, zwanzig wichtigsten Menschen aus deinem Leben erfahren sofort davon. Aber der Rest? Der Rest weiß erst mal gar nichts von deinem Schicksal. Dein alter Schulfreund, der jetzt in Kanada lebt? Fehlanzeige. auf eine seltsame, falsche Art bleibst du noch lebendig, bis die Nachricht deines Ablebens auch die entlegensten Ecken der Welt erreicht hat. Erst dann bist du richtig tot.“

Jetzt wollt ihr sicher etwas über die literarische Wertung im Sinne einer Rezension wissen über diesen ersten Roman eines 19jährigen wissen?! Jesper Lier würde sich sagen: „Man, fickt dich doch selber². Und irgendwie möchte ich ihm da recht geben.



Dieser Roman hat ganz klare Strukturen bestehend aus einzelnen klar gegliederten Szenen: Showopener, Ahaeffekt, Handlung, Showdown. So ist jedes Kapitel gegliedert und strukturiert. Das ist amerikanische Bauweise und wird als cratives Schreiben gelehrt. In diesem Roman ist alles drin. Dafür gibt es also eine Eins plus für Wells.

Wenn ich jetzt abschließend bemerke, daß ich große Hoffnungen für Wells hege, wie ich sie für alle jungen Menschen hege, komme ich mir natürlich wirklich wie ein „alter Sack“ vor. Aber ich werde jedes Buch von diesem Mann lesen, was ich kriegen kann.



Benedict Wells
Spinner
Copyright 2009 Diogenes Verlag AG Zürich
Umschlagillustration: Peter Stanick, >3 feet
Foto: Regine Moismann/Diogenes Verlag




Montag, 4. Juni 2012

Günter de Bruyn: Die Finckensteins



Die Finckensteins, ich bin beeindruckt und staunte bei dieser Lektüre. Eine Familie im Dienste Preußens. Dabei frage ich mich, immer noch irgendwie unter dem Einfluß Günter de Bruynscher beeindruckender Erzählkunst, ob diese Familie nun eher Dallas und den Ewings zu zurechnen sei, oder dem Denverclan mit den Carringtons.

Die Fans von Preußens Glanz und Gloria werden in dieser Bemerkung nun sicher ein Sakrileg sehen. Tut mir leid, Jungs und Mädels. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß damals wirklich alles so wunder wunderschön war, wie es sich hier zuweilen in diesem Buch lesen und ahnen läßt.

Das es nicht so ist, läßt Günter de Bruyn auch immer wieder beiläufig in seinen Beschreibungen mit einfließen, wenn er von den zahllosen Kriegen und Nöten berichtet; wenn Napoleon mit seinem Heer vor der Tür steht, während man im traumhaften Park des Präsidenten, dem zweiten wichtigen Finckenstein, den Gedichten von Ludwig Tieck lauscht und sich den Künsten hingibt. Das es dabei auch zum Streit und zu Intrigen wie bei Dallas kam, erwähnt de Bruyn diskret, aber deutlich. Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß sich Künstler eine gute Zeit lang verstehen, und dann möglicherweise überwerfen und zerstreiten. Damals, wie heute.

Die Geschichte der Finckensteins beginnt mit dem späteren Feldmarschall, der Erzieher zweier preußischer Kronprinzen war und einer der engsten Ratgeber Friedrichs des Großen war. Und für jemanden wie mich, der keine Ahnung mehr von Preußen und diesem Teil Deutscher Geschichte hat und die Könige und Kaiser verwechselt, war der erste Teil des Buches auch in dieser Hinsicht höchst interessant. Jetzt habe ich einen Überblick gewonnen.

Im Mittelteil des Buches geht es um den Sohn, dem zweiten Finkenstein, den man später Präsident nannte, und in seine Zeit fallen die wunderbaren Berichte von Bruyn über den kraftvollen Aufschwung der deutschen Literatur, die Zeit der Romantik und all ihrer Vertreter und dem Leben in Berlin, auf dem Land, in den Bädern.

Auf dem Klappentext heißt es:

„Der Reichtum der Gestalten in de Bruyns Werk, die Entfaltung einer sich verändernden preußischen Gesellschaft, der Gegensatz zwischen dem „französisierenden“ Königshaus und dem kraftvollen Aufschwung der deutschen Literatur – all dies findet sich wie beiläufig in diesem souverän erzählten Buch.

Und eines verdeutlicht dieses Buch für mich aber auch: einen Untergang! Also eben doch, irgendwie, auch Dallas, Denverclan und Falcon Crest zusammen.

Sonntag, 3. Juni 2012

Ein Tag, ein Buch!


Sonntag….. Juni 2012….. 12 Grad Celsius…..Dauerregen…… Dortmund!

Schon gestern Abend holte ich mir „Die Finckensteins“ hervor, von Günter de Bruyn. Vor ein paar Tagen in einem Antiquariat entdeckt. Finckenstein? Nie gehört. Günter de Bruyn? Da schwant mir was, aber nie gelesen. Siedler Verlag? Ein wunderschön gearbeitetes Buch, fühlt sich gut an, sieht gut aus, wie eine feine Flasche Rotwein. Preußen? Oh Gott, war nie mein Fall und nie mein Thema. Geschichte? Ja, solange sie nichts deutsches hatte.

Da ich mir vorgenommen hatte, jedes Buch, welches ich kaufte auch zu lesen, war klar, daß ich das auch mal lesen wollte und Neverness von David Zindel nervt mich im Augenblick ein bißchen, also ging ich gestern mit de Bruyn ins Bett. Aber hallo!!!

Sonntag….. Juni 2012….. 12 Grad Celsius…..Dauerregen…… Dortmund!

Finckenstein? Da gab es in Preußen einige, Minister und Feldmarschall unter meheren Königen. Günter de Bruyn? Wenn alle deutsche Geschichte so wie er erzählen würden, hätte ich viel früher angefangen mich damit zu beschäftigen. Preußen? Das war mehr als nur Preußen, Deutschland.

Die restlichen Seiten werde ich heute verschlingen......

Ein Tag, ein Buch! So liebe ich es.

Samstag, 2. Juni 2012

Heinrich Mann: Die kleine Stadt


In einer kleinen Stadt, irgendwo in Italien, mit etwas unter einhunderttausend Einwohnern, man ist nicht mehr unter dem Papst, versuchen einige Honoratioren um den Advokaten herum, das Ansehen der Stadt aufzuwerten und so erwartet man nun die Komödianten, die eine Oper im fürstlichen Theater aufführen sollen. Was dann mit der verspäteten Post eintrifft reicht vom alten und verblaßten Startenor, über die Diva, den schönen Tenor, bis zur gelben Choristin; und von dem Moment an, als die erste Gruppe auf der Piazza in Cafe Fortschritt ankommt, ist alles, aber auch wirklich alles außer Rand und Band und auf den Beinen und der Pfaffe verprügelt die kleinen Jungs, weil sie zotige Bemerkungen machen.

Der Advokat verliebt sich in die Diva und wird erhört, nachdem er glaubt der Baron sei bei ihr gelegen, was nicht stimmt, der war bei der Frau des Wirtes, der schöne junge Tenor verliebt sich in Alba, die ihn erst nach der Premiere erhört obwohl sie eigentlich dem Kloster versprochen war und er deshalb vorher bei der Frau des Apothekers lag und so geht es rund zweihundert Seiten weiter, daß man zuweilen mit all den Namen und wer mit wem, durcheinandergerät.

Die Premiere nun war der Hammer. Man glaubt es nicht, was in so einem italienischen Theater alles abging um 1909. Inzwischen hatten sich die Liebespaare schon dreimal verändert, der Pfaffe tickt im Dreieck, die Jugend traut ihren Augen nicht und hat ebenfalls ihren Spaß bei all diesen Eitelkeiten und Verliebtheiten und hängt in der Galerie mit ihren großen Hüten und bunten Schales ab, während sich der Konditor darüber ausläßt, daß er sechs Karten gekauft habe, aber keine Loge bekommen hätte, wiewohl doch eine frei geblieben sei.

Die sozialen und politischen Umtriebe dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden, ja es kommt zu Auseinandersetzungen und Prügeleien, ausgelöst um die priesterliche Oberhoheit über den Eimer.

Übrigens sagte Heinrich Mann selbst, daß dieser frühe Roman von ihm, sein Lieblingsroman sei. Für den modernen Leser dürfte das allerdings nichts mehr sein und ihn überfordern.