Mittwoch, 26. September 2012

Magnus Mills: Zum König!


Das Paradies mag auf einer windumtosten Hochebene, irgendwo auf der Welt, gelegen sein, mit einer Blechhütte darauf und die nächste Blechhütte erst wieder ein paar Meilen entfernt und Besucher sieht man schon eine oder zwei Stunden in der Ferne erscheinen, bevor sie einen erreichen.  Und glücklich und zufrieden erfüllt unser Held in diesem Roman seine Pflichten und Aufgaben, beseitigt den Sand vorm Haus und bringt es zu Meisterschaft beim Fegen im Haus.  Merkwürdig karg gibt sich die Kulisse, spröde erscheint der Held und surreal lesen sich die ersten Sätze und doch liest es sich „bezaubernd“ wie ein Märchen für Erwachsene. 

Wenn ich  schon die urältesten Mythen strapaziere, so natürlich auch den von Eva. In diesem Roman heißt sie Mary Petrie.  Mit ihrem Auftritt kommt Leben in die Bude, oder sollte ich besser schreiben, in die Blechhütte? Und im ersten Teil dieser herrlichen Fabel vermutet man, es geht genau darum, um die Vertreibung aus dem Paradies, um Mann und Frau. Aber das ist ein Irrtum.

‚Auf meinem Weg nach Westen dachte ich an Mary Petrie und erinnerte mich, wie hilflos sie bei ihrer Ankunft gewirkt hatte. Sie hatte eine Welt mitgebracht, die sich um einen Koffer, einen Spiegel und ein Schminkköfferchen drehte, und verstand nichts vom Leben in einem Blechhaus. Das Geräusch dieses Hammers, das hinter mir immer leiser wurde, bezeugte, daß sie sich seither mit dem Thema voll und ganz vertraut gemacht hatte. Der Winde wehte kräftig an diesem Tag und blies kleine Sandschauer über die Ebene. Er war jedoch nicht stark genug, um die vielen Trampelpfade zu verwehen, die ich vorfand. Während meiner gesamten Wanderung stieß ich immer wieder auf sie. Alle führten entschlossen nach Westen. Ich kam an den Plätzen vorbei, wo Simon, Steve und Philip einst gelebt hatten, und setzte dann meinen Weg in Hinterland fort, ohne genau zu wissen, was mich erwartete.’ (Zitat Seite 111)

Simon, Steve und Philip waren Nachbarn und lebten ebenfalls in Blechhütten auf der Hochebene, die angelockt von Eva, äh, ich meine Mary, zu besuch kamen. Da hier alles etwas langsamer vor sich geht, waren sie eines Tages verschwunden; samt Blechhäusern. Und immer häufiger, in der Ferne zu beobachtend, erschienen Gestalten und schufen Trampelpfade.... gen Westen!

Magnus Mills ist 1954 geboren und lebte in London, als dieser Roman 2004 auf Deutsch erschien.



Magnus Mills: Zum König!

Aus dem Englischen von Katharina Böhmer
© 2001 Magnus Mills
© 2004 der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner

Dortmund liest.... und WESTWORD schreibt


WESTWORD... das sind die fantastischen Vier. Damen, die sich dem Schreiben verschrieben haben und in meinem Viertel eine "Arbeitsgemeinschaft" gegründet haben und SCHREIBEN: Romane, Kurzgeschichten, Lyrik....







Da gibt es dem historischen Roman der 1701 beginnt und in Dortmund handelt;
















den aktuellen Roman über einen alten Typen aus dem Westend-Viertel;










 







die Kurzgeschichten zum Teil über einen jungen Schnösel und seine Ansichten und Handlungen













und Gedichte bestehend aus unter die Haut gehenden Worten hingehaucht....


die Dame links, leider habe ich vor lauter Ergriffenheit beim Zuhören vergessen, ein besseres Bild zu machen

Montag, 24. September 2012

Michael Frayn: Gegen Ende des Morgens


Den 1933 geborenen Michael Frayn, britischer Autor,  habe ich erst vor ein paar Wochen entdeckt und sein dieses Jahr erschienenen Roman  „Willkommen auf Skios“ gelesen. Das ich ihn weiterlesen wollte war danach klar. Gegen Ende des Morgen hat er 1967 geschrieben und liegt er seit  2007 als Deutsche Erstausgabe vor.  Frayn nennt ihn seinen Fleet Street Roman.

John Dyson ist Leiter der Abteilung für das Kreuzworträtsel und Vermischte Meldungen einer großen englischen Tageszeitung, Ende der 1960er Jahre. Also kein Handy, keine PC, kein www.  Dyson träumt von Fernsehruhm und dem Leben eines Gentleman und dann bekommt er tatsächlich seine große Chance.

„Ich bin weiß Gott ein Versager, eine unmaßgebliche menschliche Nichtigkeit, auf der jeder dahergelaufene Passant gleichgültig herumtrampelt, dachte Dyson, als er seiner Frau mit geballten Fäusten in den Hosentaschen und einem unnachgiebigen Stirnrunzeln von der Küche ins Wohnzimmer folgte, aber es gibt etwas auf dieser Welt, das ich mir nicht bieten lasse, und das ist das Gekrittel meiner Frau. Davon lasse ich mich nicht kleinkriegen. Ich würde mich weiß Gott nicht beschweren, dachte er, wenn sie mich in halbwegs vernünftiger Manier bekrittelte. Ich bin es ja gewohnt, wie Dreck behandelt zu werden – stolz bin ich nicht. Es ist dieses stillschweigende Kritteln, das ich nicht ertrage, dieses schreckliche pseudosachliche Gekrittel, während sie so tut, als würde sie gar nicht kritteln. Es ist dieses alberne Ratespiel, bei dem ich herausfinden muß, wofür ich bekrittelt werde. Also wirklich, damit werde ich mir bestimmt nicht den Samstagvormittag um die Ohren schlagen. Ich werde einfach wortlos das Haus verlassen und ein paar Tage in meinem Club verbringen. Ja, wenn ich einen hätte, würde ich das tun.“ (Zitat Seite 163)

Fast bekommt man Mitleid, mit diesem Dyson wenn man so seine Mitarbeiter in der Redaktion kennenlernt, ihre Arbeitsweisen und Eigenheiten, die Frayn in einer unvergleichlich coolen trockenen, klugen und amüsanten Art und Weise darstellt, die typisch für Frayns Schreibe ist und die ihm verdientermaßen den Ruf einbrachte, „einer der klügsten britischen Schriftsteller“ zu sein. Und das Schöne daran ist, man hat nie das Gefühl, belehrt zu werden.  Figuren, Dialoge, Handlungen... einfach brillant, rasant, meisterhaft und in diesem Roman mit einem überraschenden Ende!



Michael Frayn: Gegen Ende des Morgens

Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow
© 1967 by Michael Frayn, mit einem Nachwort © 2000 by Michael Frayn
© 2007 by Dörlemann Verlag AG, Zürich
Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf
Foto © Mary Evans Picture Library




Dortmund liest....


In der Stadtbahn, zwischen Eving und Kampstraße


Sonntag, 23. September 2012

Michael Cobley: Die Ahnen der Sterne


Abgedreht! Abgefahren! Faszinierend! Hammermäßig! Man stelle sich das Universum wie einen Ameisenhaufen voller Ameisen vor. Und jede Ameise ist eine Zivilisation.... Bei Michael Cobley gibt es aber dazu noch einen Ameisenhaufen von Universen und Hyperräumen! Die Ahnen der Sterne ist der dritte Band dieser Space Opera, die wirklich eine ist!

An dieser Stelle aber zunächst ein wichtiger Tipp: Fangt mit dem ersten Band, Die Saat der Erde an, dann den zweiten Band, Waisen des Alls  und gebt euch mit diesem dritten Band des Rest dies unglaublich abgefahrenen Spektakels.

Der gesamte zivilisierte Bereich umfaßt 227.175 Sternensysteme mit 917.900 bewohnten Welten und Habitaten, einer Gesamtbevölkerung von rund 2.100 Billionen, sowie einer Legion von rund 1,1 Millionen Avataren und irgendwo eine Gottheit, zu dem ein Botschafter Kontakt hält.  Von diesem Augenblick an müßte es eigentlich ziemlich unübersichtlich werden. Von wegen: Einfach das Gehirn ausschalten und lesen, lesen, lesen und Du bist mittendrin in diesem unglaublich aufregenden Gewühl und damit Du alles verstehen und verfolgen kannst, hat sich Michael Cobley eines Tricks bedient, der durch alle drei Bände geht und überall gleich ist: Es gibt gerade mal 14 Hauptpersonen, einschließlich der Gottheit, die in kurzen überschaubaren Kapiteln und Handlungssträngen vor diesem  kolossalen Hintergrund agieren. 

Zum Ende eine jeden Bandes führt er diese Handlungsstränge immer enger zusammen. Die Spannung die Cobley dadurch aufbaut ist beeindruckend und hier tun sich wirklich ungeahnte Welten auf und Du bist mitten drin in diesem Ameisenhaufen.  Ob das Ganze technisch möglich ist, spielt hierbei keine Rolle, denn Cobley hat quasi nur  „weitergesponnen“  was die Wissenschaft heute so alles spekuliert und das hat er ausgesprochen gut gemacht.

Da gibt es übrigens noch ein großes Geheimnis, welches nahezu alles irgendwie und irgendwo antreibt. Lesespaß pur war das für mich!


Michael Cobley: Die Ahnen der Sterne

© 2011 Michael Cobley
©  2012 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagsillustration: Steve Stone
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Samstag, 22. September 2012

Henry Fielding


 
Es war der erste Tag des Decembers 1741, wie ich dieses Leben und meine Wohnung in Cheapside verließ. Mein Körper war bereits einige Zeit todt, ehe ich die Freyheit hatte ihn zu verlassen, in der Erwartung, derselbe möchte durch einen oder den anderen Zufall wieder ein Leben erhalten. Diese Verbindlichkeit ist allen Seelen durch die ewigen Gesetze des Schicksals auferlegt worden, um aller Unordnung vorzubeugen, die sonst entstehen könnte. Sobald die bestimmte Zeit meiner Verweilung verflossen war, (die jedoch nicht länger dauerte, als bis der Körper völlig kalt und steif geworden war) fing ich an mich in Bewegung zu setzen; traf aber viele Hinderniße an, die meinen Abzug aufhielten: der Mund, oder die eigentliche Thür war verschlossen, so daß ich es unmöglich fand, da durchzudringen; die Fenster, oder wie man gemeiniglich redet, die Augen, waren durch die vorsichtige Hand einer Wärterin so fest zusammen gedruckt worden, daß alle Versuche sie zu öffnen vergeblich waren; endlich entdeckte ich einen Strahl eines Lichts, welches am Dache des Hauses (denn so nenne ich den Körper, worin ich verschlossen war,) schimmerte; ich schwung mich dahin an, und ließ mich wiederum durch eine Art von Kamingange behende herab, oder deutlicher, ich entwischte durch die Naßlöcher. 

Kein Gefangener, der aus einer langen Einsperrung entlassen wird, kann die Annehmlichkeiten der Freyheit mit größerem Vergnügen empfinden, als ich, da ich jetzo aus einem Kerker befreyet wurde, worin ich mehr als vierzig Jahre war eingeschlossen gewesen, und unter diesen entzückenden Betrachtungen wendete ich noch einmal meine Augen auf denselben zurück.

(Henry Fielding: Eine Reise von dieser Welt in die nächste, Kopenhagen, 1759, sic)

Donnerstag, 20. September 2012

Basilius von Cäsarea: Über den Heiligen Geist

Bei den italienischen Humanisten des Quattrocento stand Basilius in hohem Ansehen und 1531 lieferte Erasmus von Rotterdam eine Übersetzung des De Spiritu Sancto, welches Basilius wohl Ende 375 verfaßte. In dieser Schrift sucht Basilius auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Heiligem Geist und Vater und Sohn Antwort zu geben. Im Wesentlichen geht es
um die Präpositionen: In, mit, aus, durch, nach.

Zugrund liegt ein Streit zwischen verschiedenen Glaubenlehren und –richtungen, die erklären, „der Sohn sei nicht „mit“ dem Vater, sondern „nach“ dem Vater. „Durch ihn“ wird auch auf den Vater angewandt, „aus ihm“ auch auf den Sohn und den Geist.

Ihr meint, man streite sich um des Kaisers Bart? Die christliche Religionslehre erfuhr in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt durch wenige Männer, einer davon war Basilius, ihr bis heute gültiges grundlegendes Verständnis und auch noch heute streiten Bischöfe, Kardinäle und Gelehrte, wie denn das so ist mit dem IN, MIT, AUS, DURCH und dem nach.

Die anfangs im Herder Verlag erschienene Reihe Fontes Christiani ist eine beeindruckende Reihe von christlichen Quellentexten aus Altertum und Mittelalter. Inzwischen scheint denen aber das Geld ausgegangen zu sein und irgendein Schweizer Verlag versucht die Reihe weiterzuführen.
 
 
Basilius von Cäsarea: DE SPIRITU SANCTO - Über den Heiligen Geist
 
(c) Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1993 
 
 
 

Mittwoch, 19. September 2012

Eduardo Mendoza: Katzenkrieg


Enttäuschend, aber so was auch von enttäuschend! Mit Katzenkrieg legt Eduardo Mendoza einen Roman vor, der auch nicht entfernt an seine großartigen früheren Romane heranreicht.  Von seiner wunderbaren Sprache, seiner Feinfühligkeit und Sorgfalt mit der er früher Figuren komponierte ist nur noch wenig zu ahnen und manche Sätze „klingen“ einfach nicht mehr. Sein bislang hintergründiger subtiler Humor ist hier der Schatten seiner selbst.  Dabei klingt die Story recht verlockend: Englischer Kunstsachverständiger im Madrid des Frühjahrs 1936, Kommunisten, Faschisten, Putsch, Spione, der Herzog, die Familie des Herzogs mit frivolen Töchtern, ein Bild Velázquez, ein Dandy, eine Mädchenprostituierte; eigentlich genau die richtige Gemengelage für Mendoza, der früher mit so was zauberte. Diesmal gelingt es ihm leider nicht und sprachlich bleibt er in diesem Roman Mittelmaß.  Und was den Leser gelegentlich verwirrt, angesichts dieses Übermaßes, scheint wohl fast auch Mendoza gelegentlich überfordert zu haben und klingt ungewohnt hölzern an einige Stellen.

Irgendwie kann man als Leser zwar auf seine Kosten kommen, wenn man denn mit einem durchschnittlichen Politthriller und Historienroman zufrieden ist, auch wenn diese Historie gerade mal so rund achtzig Jahre her ist und wahrscheinlich liegt auch darin der Grund, im Nationalstolz der Spanier, warum dieser Roman gerade in Spanien zu einem Bestseller geworden ist.

Mendoza ist und bleibt aber einer der großen spanischen Autoren und die, die ihn erlesen wollen, wären gut beraten mit seinen früheren Romanen wie „Die Wahrheit über den Fall Savolta“ oder „Die Stadt der Wunder“ oder „Eine leichte Komödie“  zu beginnen.

Und die, die Mendoza lieben so wie ich, werden auch wie ich Katzenkrieg lesen und es ihm verzeihen, auch wenn es schmerzt.




Eduardo Mendoza: Katzenkrieg

Aus dem Spanischen von Peter Schwaar
Die Originalausgabe © 2010 Eduardo Mendoza
Die deutsche Ausgabe © 2012 Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München
Umschlaggestaltung und Motiv: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, Michelle Corrodi, unter Verwendung zweier Fotos von © Bettmann/Corbis und © Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl Barcelona






Dienstag, 18. September 2012

Ron Leshem: Wenn es ein Paradies gibt


‚Es ist das Frühjahr 1999, noch immer steht die israelische Armee im Südlibanon, auf der Festung Beaufort treffen neue Soldaten ein: vierzehn junge Männer und der erst einundzwanzigjährige Offizier Eres.’ So liest es sich recht  nüchtern auf dem Klappentext. Und dann macht Ron Leshem tatsächlich ein Faß auf! Also wenn ich mit einem Juden mal wieder im Streit liegen sollte, weiß ich jetzt schon, was ich ihn an der richtigen Stelle unterjubeln werde, denn in diesem Roman heißt es auf Seite 32:  „Und dann wäre da noch die allerschlimmste, allerübelste Verwünschung: Gebe Gott, daß sie dir den Zettel aus der Klagemauer stehlen.“  Auf den Seiten zuvor gab es quasi eine Lehrstunde in die Terminologie und Sprache der jungen Soldaten, und die ist gepfeffert und derbe. ‚Die Jungs kommen frisch aus den Tel Aviver In-Lokalen, haben den Kopf voller Sex & Drugs und noch keine Ahnung, daß es ans Sterben geht.’ Leshem muß es wissen, er ist Jahrgang 1976. So ist dieser Roman ‚eine Geschichte von Helden, die keine sein wollen, von Angst, Freundschaft und dem Traum von einem wilden Leben. ‚

Ich las diesen Roman mit gemischten Gefühlen, denn ich lebte einige Monate in diesem ‚Paradies’, dem Süden des Libanon, und einen halben Tag lag  ich im Straßengraben unter dem Beschuß einer israelischen Kommandotrupps. Ich gewisser Weise kannte ich bisher also nur die andere Seite, über die ich bis heute noch keinen Roman kenne. Leshems Roman bietet nicht nur eine erschütternde und ‚erhellende Innenschau aus Israels Armee’ sondern auch einen Einblick in das Denken und Fühlen einer ganzen Generation und das ist überaus packend bis an die Schmerzgrenze.

Hoffnung allerdings, auf ein Paradies im Nahen Osten und Frieden, habe ich dennoch nicht, den mir scheint es, daß auch diese Generation nichts dazu gelernt hat; nicht einmal dieser junge Offizier Eres, dem nachher nicht mehr eine Handvoll seiner „Kinder“  bleiben. Gebe Gott, daß sie ihnen allen ihre Zettel aus der Klagemauer stehlen; auch die arabischen.


Ron Leshem: Wenn es ein Paradies gibt

Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
© 2008 Rowohlt  Berlin Verlag GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: any.way, Cathrin Günter,  Walter Hellmann
Umschlagabbildung: Bavaria Film International / United King Films
Foto des Autors: privat








Mittwoch, 5. September 2012

James Joyce: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann

Wenn dieser Roman mit einer Muhkuh und einem Baby Tuckuck beginnt.... so sollte der geneigte Leser einfach weiterlesen, denn dies verliert sich schon ab der zweiten Seite und von da an ist dieser Roman nicht mehr „offen, verschlüsselt, oder kryptisch“ sondern recht verständlich, auch wenn es natürlich noch das Offene, das Verschlüsselte und das Kryptische gibt. Geburt, Kindheit, Schule sind die Stationen die Stephen Dedalus durchläuft, „anfangs noch im Bann von Ängsten und Schuldgefühlen, vertraut er mehr und mehr auf seine kritischen Fähigkeiten, auf seine Gefühle und persönlichen Neigungen“. Und tatsächlich, zwischen dem scheinheiligen Moralismus von Familie, Gesellschaft und Kirche, dem was man für Sünde und Gott hält, seiner Gefühlswelt und seinen Empfindungen, entwickelt sich der mutige „Künstler“ wie es scheint, und das ganze klingt am Ende wie ein Märchen, als welches es ja mit den ersten Zeilen beginnt:: „Es war einmal....“ , jepp und am Ende steht tatsächlich das was ein Künstler sein möchte und könnte wie eine Verheißung.

Solange ich bei diesem Buch geblieben bin, ging es mir mit dem Lesen recht gut. Dummerweise habe ich auch das Nachwort gelesen und frage mich nun, ob ich da was nicht kapiert habe. Es soll Leute geben, die treffen sich noch heute regelmäßig und sezieren jeden Satz von James Joyce und denen zufolge kann man sich darüber streiten, ob dies Porträt nun ein Roman sei oder nicht vielmehr eine erste Autobiographie? Also laßt euch von denen nicht bange machen, dieser Roman ist ein guter Einstieg und Zugang zu James Jouyce.

Ja, in diesem Roman macht James Joyce tatsächlich ein Rundumschlag und all überall ist der aufbegehrende Geist eines jungen Menschen zu lesen, zu fühlen, der sich so seine eigenen Gedanken macht über Gott und die Welt. Vor allem über Gott! Und fast scheint es, als würde die Kunst der neue Gott von Stephen Dedalus. Und wenn dem so ist, eben nicht nur von Stephen Dedalus, sondern von vielen Künstlern und Dichtern, die sich durch dieses Werk haben inspirieren lassen.

„Von diesen Dingen zu sprechen und zu versuchen, ihre Natur zu verstehen, und, wenn wir die verstanden haben, langsam und genügsam und beharrlich zu versuchen, aus der grobschlächtigen Erde oder dem, was sie hervorbringt, aus Klang und Form und Farbe, die die Kerkertore unserer Seele sind, ein Bild der Schönheit, zu deren Verständnis wir gelangt sind, herauszupressen, sie auszudrücken – das ist Kunst.“ (Zitat: Seite 254)

Und H.G. Wells hat recht: „Dieses Buch muß man kaufen und lesen und wegsperren, aber keinesfalls darf man es versäumen.“



James Joyce: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann

Aus dem irischen Englisch übersetzt von Friedhelm Rathjen, auf Grundlage der von Hans Walter Gabler edierten textkritischen Garland-Ausgabe von 1993

© der textkritischen Edition des Originals, 2012 Hans Walter Gabler, München
© 2012 für die deutsche Ausgabe by Manesse Verlag, Zürich in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung: glanegger.com, Büro für Buch und Grafik, München








Montag, 3. September 2012

Volker Kutscher: Die Akte Vaterland - Gereon Raths vierter Fall

Die Besonderheit an diesem Krimi ist der zeitliche Hintergrund, vor dem Gereon Rath, Kommissar, Mordkommission Berlin, ermittelt: 1932 führen die Ermittlungen von Berlin nach Masuren. Damit gewährt Volker Kutscher einen hochinteressanten Einblick in die gedachte und mögliche gefühlte Stimmungslage in Alltagsituationen der damaligen Zeit.

„In der Hofeinfahrt kam ihnen ein naß gescheitelter blonder Jüngling entgegen, im braunen Hemd, am linken Arm die Hakenkreuzbinde, die SA-Mütze noch unterm Arm. Der Nazi verschoß angriffslustige Blicke, doch Rath ließ sich nicht einschüchtern, er hatte diese braunen Burschen gefressen, seit er miterlebt hatte, wie sie letztes Jahr am Ku’damm randaliert hatten, schlimmer als die Kommunisten. Wenn der Kerl eine Schlägerei haben wollte, konnte er sie haben, dann würde er im Polizeigewahrsam enden. Aber der provozierende Blick reichte dem Jüngling offenbar, er ging an Rath vorüber, ohne ihn anzupöbeln, drehte sich auf der Straße allerdings noch einmal um und setzte mit einem letzten bösen Blick seine Uniformmütze auf.“ (Zitat Seite 49)

Das dieser Hintergrund gut recherchiert scheint, kann man diesem 1962 geborenen Autor Volker Kutscher durchaus unterstellen. Ebenso, wie alle seine Figuren schlüssig, lebendig und stimmig sind. Und genauso solide, spannend und entsprechend dramatisch und überraschend liest sich die Handlung. Das schließt gewisse „Kuriositäten“ mit ein, die wir heute als solche empfinden, was aber nicht nur amüsiert, sondern auch ein wenig nachdenklich macht. Und damit ist nicht nur das Telephonieren gemeint.

Der Klappentext gibt die Rahmenhandlung recht gut wieder: „Im Juli 1932 steht die Berliner Polizei vor einem Rätsel: Ein Mann liegt tot im Lastenaufzug von „Haus Vaterland“, dem legendären Vergnügungsviertel am Potsdamer Platz und alles deutet darauf hin, daß er dort ertrunken ist. Und er ist nicht der Einzige, der auf diese Weise ums Leben gekommen ist. Volker Kutscher schickt seinen Kommissar Gereon Rath auf eine außergewöhnliche Ermittlungsreise, die bis nach Ostpreußen führt. Und Rath an die Grenzen seiner Belastbarkeit.“

Es sollte aber auch klar sein, daß es sich hierbei nicht um einen reißerischen Hardcore Krimi handelt. Hier wird mehr Wert auf den Hintergrund, die Figuren und die Handlung gelegt, was bestens gelungen ist. „Die Akte Vaterland“ ist Gereon Raths vierter Fall, wobei man die ersten drei Bücher nicht unbedingt gelesen haben muß, um hier einzusteigen. Der Hintergrund, der Untergang der Weimarer Republik, macht diese Krimireihe aber auch für Leser interessant, die normalerweise keine Krimis lesen.

Einen Hacken hat die Sache aber schon: Guten Unterhaltung ja, aber mit 560 Seiten viel zu lang, es sei denn, man wünscht sich Geschichten, die niemals aufhören mögen.




Volker Kutscher: Die Akte Vaterland – Gereon Raths vierter Fall

© 2012, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Umschlaggestaltung: Rolf Linn, Köln
Umschlagmotiv: © ullstein bild




Sonntag, 2. September 2012

Philip Roth: Empörung

Empörung ist ein kleines Meisterwerk. In diesen Roman einzutauchen war ein Genuß. Einfühlsam, klug und packend erzählt vom Altmeister Philip Roth.

Marcus Messner ist der Sohn eines Metzgers; eines koscheren Metzgers. Und wie so viele Kinder im elterlichen Kleinbetrieb mitarbeiten, so tut dies auch Marcus und er liebt seinen Vater. Diese ersten Passagen sind wunderschön. Aber auch Marcus wird älter und der Vater zu einer sorgenvollen Klette und das vor dem Hintergrund eines puritanischen, scheinheiligen Landes und dem heraufziehenden Koreakrieges. Marcus entwickelt sich und macht so seine Erfahrungen und landet schließlich auf einem College und bekommt dort zum ersten Mal einen geblasen und bei Philip Roth lesen sich diese Teile, als würde er das Zähneputzen beschreiben, auch wenn seine Beschreibungen klar und eindeutig und auch deftig sind. Aber das wären sie beim Zähneputzen ja auch.

„Empörung ist die Geschichte einer éducation sentimentale, eine Geschichte, die von Unerfahrenheit handelt, von Torheit, intellektuellem Widerstand, sexuellen Entdeckungen, Mut und Irrtum.“ (Klappentext)

Das Ende dieses Romans ist erschütternd und schonungslos. Es sind die Gedanken eines zwanzigjährigen. Googelt nicht zuviel herum zu diesem Titel, denn es gibt einige Kritiken, die das Ende schon erzählen und ausführlichere Inhaltsangaben machen, als ich es gerade getan habe. Es würde euch einiges von der Spannung nehmen, die ich beim lesen hatte.

„Was hatte die Evolution im Sinn, wenn sie nur einen von einer Million Jungen so schuf wie den, der da jetzt vor mir stand? Was für eine Funktion konnte ein dermaßen gutes Aussehen haben, wenn nicht die, auf die Unvollkommenheit aller anderen aufmerksam zu machen? Ich war vom Gott des Äußeren nicht ganz unberücksichtigt geblieben, aber der brutale Maßstab, den dieser Ausbund an Schönheit setzte, machte jeden anderen zu einem Monstrum der Gewöhnlichkeit.“ (Zitat Seite 39)



Philip Roth: Empörung

Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
© 2008 Philip Roth
© 2009 Carl Hanser Verlag München
Schutzumschlag: Peter-Andreas Hassiepen, München