Dienstag, 26. Juni 2012

Fabio Stassi: Die letzte Partie


Das war mal wieder ein Roman, sprachlich und stilistisch, vom Allerfeinsten! Es ist der dritte Roman von Fabio Stassi, der 1962 auf Sizilien geboren wurde, und 2009 auf deutsch bei Kein & Aber erschienen ist.

José Raul Capablanca ist die Hauptfigur, ein Kubaner, und den Schachspielern unter euch muß ich nicht sagen wer das war. Es handelt sich also um die Geschichte einer realen Person. Ich weiß nicht wie frech Stassi in seiner Recherche vorgegangen ist, aber was ich gerade über Capablanca googelte und bei Wikipedia fand, las sich wie eine Personen- und Zeitangabe zu diesem Roman. Das nimmt mich noch mehr ein, für diesen klugen Autor, der vielleicht sogar ein Schlitzohr ist und der selber geschrieben hat: „Aber so ist es nun einmal mit Romanfiguren: Im Grunde Diebe und Lügner, verfolgen sie doch ihre jeweilige Wahrheit, mag sie auch noch so klein und unbedeutend sein.“

Capablanca wird 1888 geboren, guckt sich bei seinem Vater schon als sechsjähriger das Schachspielen ab, der ihn auslacht, aber dann doch mit ihm spielt. Als Wunderkind spielt danach José nicht nur seinen Vater an die Wand, sondern bis zu seinem 13. auch alle anderen Kubaner. Und irgendwann trifft er auf den Russen Alexander Aljechin bei irgendeinem Schachturnier, bei dem der Zar noch das Preisgeld stiftete, und die beiden nebenher noch darum wetteten, wer als erster die Geliebte des Großfürsten ins Bett bekommt. Dieser Schlenker sei erlaubt und macht auch deutlich, daß dies nicht nur ein Roman für Schachliebhaber ist. Einen ganz kurzen Auftritt haben später auch noch Stalin und Che Guevara, was unter dichterische Freiheit sicher fällt. Nicht erfunden ist die Tatsache, das Casablanca eine wunderschöne Frau geheiratet hatte, eine russische Prinzessin.

Dieser 236 Seiten zählende Roman hat 64 Kapitel!!! Das braucht niemanden zu erschrecken, der überlegt diesen Roman lesen zu wollen. Im 58. Kapitel, also zum Ende hin, gewährt Capablanca ein tiefen Einblick in sich selbst und gleichzeitig einen Ausblick auf den Autor:

„Mehrere Male hatte er daran gedacht, die Regeln zu verändern und neue Figuren einzufügen. Ein Fabeltier oder ein Symbol für den modernen Krieg. Er spürte, das dieses uralte Spiel noch immer, und zwar auf höchst dramatische Weise, das menschliche Schicksal darstellte, doch das es an der Zeit war, dieses Schicksal zu ändern. Vielleicht könnte man einen Engel aus Holz schnitzen und ihn im Tiefflug über jede in einem Remis geendete Partie schweben lassen, um wenigstens im Spiel den Frieden zu simulieren. Er wußte nur zu gut, daß man sich am Ende an das Leben klammerte und daß nicht einmal die Musik oder eine vollkommene Partie einem die Illusion vermitteln konnte, seines Schicksals enthoben zu sein.“

Abschließend will ich noch kurz zitieren, was Fabio Stassi selbst zu diesem Roman, auf der letzten Seite als Danksagung, geschrieben hat:

„Dieses Buch hat vierundsechzig Kapitel, ebenso viele, wie ein Schachbrett Felder hat. Vierundsechzig kleine weiße und schwarze Quadrate, auf denen die Geschichte spielt, die es erzählt. Vielleicht deshalb, weil Romane für mich mehr mit der Geometrie und der Mathematik des Schachs zu tun haben als mit jener undefinierbaren und ungreifbaren Sache, die wir Literatur nennen. Sie sind für mich ein Duell aus Eröffnungen und Endspielen, geheime Strategien und Figurenopfern.“






Fabio Stassi: Die letzte Partie

2008 by Fabio Stassi
2009 Deutsche Erstausgabe by Kein & Aber
Coverfoto: Giuselle Cavalli, Solitario, 1948