Samstag, 21. Juli 2012

Boris Saidman: Hemingway und die toten Vögel

Das bei weitem merkwürdigste Lesevergnügen der letzten Monate, bereitete mir der Debütroman des israelischen Schriftstellers Boris Saidman. Ich war hin- und her gerissen, angezogen und abgestoßen. Eigentlich hat er sich an nichts gehalten, was die Form eines Romans ausmacht. Zuweilen las es sich wie einzelne Kurzgeschichten. So recht wußte ich nicht immer wo und wann ich gerade war. Oh, daß war nicht schlimm: Wer die Form beherrscht, darf sie brechen. Saidmann hat den Roman 2006 veröffentlich und 2008 kam die deutsche Übersetzung im Berlin Verlag heraus.

Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, als Jude aufgewachsen in der glorreichen UdSSR, aus der er dann mit seinen Eltern ins gelobte Land auswanderte. Als erwachsener Mann kehrt er zurück in das Land seiner Kindheit und was da dann abgeht, ist verwirrend, komisch, meisterhaft erzählt, traumhaft und zuweilen auch albtraumhaft. Mal erzählt aus der Sicht des Kindes, des heranwachsenden, des Mannes. Mal seine Begegnungen und Gedanken zum Großvater, mal über seine Eltern, seine Freunde.

Zitat, Seite 135, © Berlin Verlag:
„Seine Erinnerung kreiste wie ein Falke hoch über den rosa gefärbten Tolik-Jahren. Er versuchte, noch andere Makel seiner Kindheit zu erkennen. Vergeblich. Und damit erreichte der Falke sein Ziel, beendete seine ruhigen Kreise und stieß nach untern, zur Erde, durchstieß zwanzig Jahre auf seinem Weg zum Jetzt.“

Ich habe in den letzten Monaten einige neuere israelische Autoren gelesen, weil ich wissen wollte, welches Lebensgefühl, welche Gedanken sie heute haben. Es gibt wohl zwei schreibende Generationen: Die Kinder der Holocaustopfer und die Generation, die Israel aufgebaut hat. Entsprechend thematisch gelagert sind ihre Werke. Saidman gehört zur Generation derer, die in ein „verheißenes“ Land kamen.

Zitat, Seite 64, © Berlin Verlag
„Diese verdammten Juden,“ würde er sagen und nach den Wörten suchen, die Wörter würden aus ihm strömen, an jeder menschlichen Barriere zerschellen, „diese verdammten Juden, die Hitler nicht geschafft hat umzubringen, sollen sie doch nach Palästina gehen, dort werden die Araber das Werk schon vollenden, und Mütterchen Rußland wird ihnen dabei helfen!“
Und der Vater? Er würde ihm antworten, er schere sich einen „ihr wißt schon was“ um ihn und sein Mütterchen Rußland.“

Wikipedia sagt, es ist Saidmans erster und einziger Roman bis jetzt. Beeindruckend und merk-würdig im wahrsten Sinne. Ich werde es bald wieder lesen.


Boris Saidman: Hemingway und die toten Vögel
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler

© 2006 Boris Saidman
© 2008 Berlin Verlag, GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Nina Rothfos und Patrick Gabler, Hamburg
unter Verwendung einer Fotografie von © Trevillion