Freitag, 24. August 2012

Lars Saabye Christensen: Die blaue Kuppel der Erinnerung

„In jedem Mißgeschick steckt der Ansatz für eine wunderbare Geschichte: Ein Autor fällt von einer Bühne in Paris...“ so beginnt der Klappentext. Wenn ich jetzt die Uhrzeit nenne, wann das geschah, es geschah genau um 19.03 h, dann verrate ich nicht zuviel. Damit beginnt diese wunderbar schlicht und doch so klug erzählte Geschichte eines Jungen in Oslo, der sich im Jahre 1965 das Geld für eine elektrische Gitarre als Blumenbote nach der Schule verdient. Sein Vater ist ja mehr für ein zwölfbändiges Lexikon. Und nach 222 Seiten sitzt dieser Autor um 19.04 h wieder auf dem Stuhl auf dieser Bühne. So währt also die Blaue Kuppel der Erinnerung nur eine Minute...

Lars Saabye Christensen gilt in Norwegen als literarischer Superstar, seine Werke wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und mit seinem Roman „Der Halbbruder“ gelang ihm vor wenigen Jahren der internationale Durchbruch und „wurde weltweit geradezu hymnisch aufgenommen und mit zahlreichen Literaturpreisen bedacht“. Eigentlich ist er ein Däne, der in Oslo lebt.

Von der ersten Zeile an war ich gebannt! Kurze Sätze, lange Sätze, Nebensätze, sehr lange Sätze. Alle Sätze von wunderschöner Schlichtheit, wie lang entbehrtes tägliches Brot. Und bei Gott, mit welchem Genuß beißt man in dieses Brot!

„Halvor Wight war nicht mehr mürrisch, mißtrauisch und auch nicht mehr verwirrt. Er war selig, gerührt, ja, erlöst ist auch ein Wort, was ich heute benutzen würde. Halvor Wight war erlöst. Ich war der Blumenbote. Ich war der Mittelsmann. Ich brachte Freude. Ich brachte süße Düfte in eingeschlossene Treppenhäuser. Ich lieferte das Licht in dunkle Eingänge und holte das Lächeln zurück auf die Gesichter. Ich war auch berührt. Es war gegenseitig.“ (Zitat Seite 35)

Mit diesem Buch feiert Christensen sein dreißigjähriges Jubiläum als Schriftsteller und nimmt uns mit in die Vergangenheit eines Autors, bis hin zu einer Gitarre, einem Blumenladen, zu Aurora Stern, erzählt nebenher von Hamsun, dem Literaturnobelpreisträger, der dann während des Krieges die Partei der Deutschen ergriff und ein norwegischer Nazi wurde und es gibt 1965 keine Straße in Oslo, die nach ihm benannt wurde. Es ist schon unglaublich wie viele tragische Figuren in diesen Erinnerungen lebendig werden. Lebendig und irgendwie auch komisch, denn nichts ist komischer als das Tragische.

„Erinnerungen verschieben sich. Erinnerungen verschleiern und decken auf, sie ziehen ab und fügen hinzu, in einer anderen Art von Mathematik, Erinnerungen kalfatern von Neuem. Und so erzählen wir es. Der Winter folgt dem Frühling. Sonntag kommt nach Mittwoch. Norden liegt neben Süden, es schneit im Juni, August aveny ist ein Ort, die Haxthausens gate 17 ein Geheimnis, und der Tod ist nicht das Ende.“ (Zitat Seite 48)



Lars Saabye Christensen: Die blaue Kuppel der Erinnerung

Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt
© 2006 by J.W. Cappelens Forlag AS, Oslo
© der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Umschlagmotiv: Terra Vista/Look-foto