Dienstag, 2. Oktober 2012

Milena Agus: Die Frau im Mond


Was für ein kleines, gerissenes Luder! Dabei ist die Autorin 1959 geboren, was diesen Gedanken, den ich über sie beim Lesen ihres Romans „Die Frau im Mond“ entwickelte, vielleicht nicht ganz passend macht.  Aber ich wiederhole ihn auch am Morgen danach: So ein kleines gerissenes Luder! Und ich meine das mit allem nötigen Respekt und voller Bewunderung für die Autorin, denn dieser einhundertsechsunddreißig Seiten dünne Roman gehört zu den Besten, die ich dieses Jahr gelesen habe.  Es gibt noch ein paar andere Beste Romane die ich in diesem Jahr gelesen habe, aber die waren samt und sonders alle über vierhundert Seiten dick, und von Männern geschrieben und so erscheint mir Die Frau im Mond wie ein kleines Wunder, welches zu schaffen wohl eher Frauen in der Lage sind, denn Männer, die alles haarklein und Seitenlang erzählen wollen.

Erzählt wird die Geschichte einer „verrückten“ Bauerntochter auf Sardinien, die einfach keinen Ehemann findet, obwohl sie zunächst zahlreiche Verehrer hat, die aber dann irgendwann Reißaus nehmen.  Also eine klassische Liebesgeschichte?! Klar, aber was für eine! Die Agus führt uns hier das Leben dreier Generationen vor, auf diesen einhundertsechsunddreißig Seiten der deutschen Originalausgabe, daß einem zuweilen der Atem stockt und man überlegen muß, wo bin ich denn eigentlich gerade und wenn man das wieder weiß, berührt sie mit einem feinen Nebensatz, einer schlüpfrigen Bemerkung oder einem zeitlichen Hinweis alles was sie auf außergewöhnliche Weise im Leser vorher berührt und ausgelöst hat; womit ich eben wieder bei meinem kleinen, gerissenen Luder wäre.

„Während des Kuraufenthalts fehlte ihm das Klavier sehr – das heißt, es hatte ihm gefehlt, bis er Großmutter kennenlernte. Jetzt war es ein wenig wie Klavierspielen, wenn er sich mit ihr unterhielt, wenn er sah, wie sie lachte oder einen traurigen Ausdruck annahm oder wie sich ihre Haare beim Gestikulieren lösten, und wenn sein Blick bewundernd an den zarten Innenseiten ihrer Handgelenke hängen blieb, die einen solchen Kontrast zu den rissigen Händen bildeten. Von jenem Tag an waren Großmutter und der Reduce unzertrennlich, es sei denn, einer von beiden mußte schweren Herzens Pipi machen gehen. Sie kümmerten sich nicht um das Gerede der Leute, er, weil er aus dem Norden des Landes kam, und Großmutter auch nicht, obwohl sie eine Sardin war.“ (Zitat Seite 36)

Dieser Roman erschien 2007 in Deutschland und der Verlag kam offensichtlich mit dem Drucken nach. Im Jahr seines Erscheinens wurden mindestens sechs Auflagen gedruckt!

Noch ein kleiner Tipp: Suchen Sie sich ein ruhiges Plätzchen: Fernseher aus, Radio aus, Handy aus und verrammeln sie die Tür vor der Welt und dann lesen Sie diesen Roman in einem durch. Das dauert nur zwei, oder drei Stunden.


Milena Agus: Die Frau im Mond

Aus dem Italienischen von Monika Köpfer
© 2007 Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
Umschlag: Steigenberger Graphikdesign, München
Foto: Johannes Kroemer / Getty Images