Montag, 8. Oktober 2012

Ben Macintrye: Der Mann, der König war


Nur der Ordnung halber: 1839 war Josiah Harlan, ein Ex-Quäker aus Chester Country, Pennsylvania, gerade mal vierzig Jahre alt, de jure durchaus zu einem König erklärt; aber so richtig, mit Krönung, Krone und Palast, ist dann doch nichts draus geworden, obwohl er verdammt na dran war, bevor er wieder in Amerika mit zweiundsechzig Jahren versuchte, Weintrauben aus Afghanistan zu verscherbeln, was ihm auch nicht gelang.

Josiah Harlan war ein Glücksritter, ein Abenteurer, einer von mehreren Europäern, die sich vor rund zweihundert Jahren in den Reichen des fernen Ostens durchschlugen und ihre Dienste dem jeweils meistbietenden König, Maharadscha oder Fürsten anboten. Und nebenbei waren sie Spione des britischen Königreiches, der damaligen führenden imperialistischen Großmacht.  Das alles macht seine Lebensgeschichte natürlich überaus interessant und lesenswert, die der heutige Journalist Ben Macintyre eindrucksvoll in diesem Buch, 2005 erschienen, erzählt.

Harlan hat über sein Leben umfangreiche Aufzeichnungen hinterlassen und war auch für Rudyard Kiplings Roman, Der Mann der König sein wollte, Anfang des 20. Jahrhunderts die Vorlage, aus der John Husten dann 1975 einen Film mit Sean Connery und Michael Caine mit gleichem Titel machte.

Was waren das für Zeiten, als man als enttäuschter und frustrierter Außenseiter noch losziehen, sich bei der Arme als Chirurg und Arzt verdingen, ohne Ausbildung und so richtig fett auf die Kacke hauen konnte um mitzuspielen, in diesem Großen Spiel um Macht und Ansehen, welches heute ja immer noch gespielt wird. Ich schätze mal, vergleichbare Abenteurer, Glücksritter, Egomanen und sonstwie vermeintlich gescheiterte Existenzen haben immer Konjunktur und wie vor zweihundert Jahren schachern ja auch heute noch sogenannte Großmächte um Länder wie Afghanistan und andere Gebiete.  So deckt dieses Buch auch interessante Parallelen zur heutigen Zeit auf, was mich persönlich immer wieder entsetzt und zu dem Schluß kommen läßt, daß sich nicht viel verändert und der Mensch nichts dazulernt, was aus ihm einen hilfreichen und guten Menschen machen würde.

Als Harlan die Bühne der damaligen Welt betrat, hatte Afghanistan eine rund dreihundert Jahre lange glanzvolle Geschichte als Großmacht hinter sich, um deren Trümmer sich nun die degenerierten Erben, die britische Weltmacht, bedroht vom russischen Zarenreich prügelten und Europa verdaute gerade noch Napoleon.  Spannend also. Einer von Harlans Gegenspielern war auch ein General aus Napoleons Diensten, der sich auf den Subkontinent abgeseilt hatte und die Arme eines indischen Maharadschas befehligte. Der General hatte übrigens zum Ende hin mehr Glück als Harlan und setzte sich dann, reich und in Ehren, im Alter in Neapel zur Ruhe und mußte nicht versuchen, Weintrauben zu verkaufen wie Harlan dann in Amerika. Glück hatte aber Harlan dennoch. Einer seiner anderen Gegenspieler, ein Engländer, ein Deserteur der englischen Kolonialarme, machte ebenfalls Karriere als Berater eines mächtigen Stammesfürsten, wurde dann aber in Kabul von der Bevölkerung bestialisch in Stücke gerissen und dann erst getötet.

Nase, Ohren, Füße, Hoden abschneiden, sind damals noch die harmlosesten Folgen von Fehlern gewesen mit denen man rechnen mußte, wenn man für einen dortigen Fürsten arbeitete. Solche fühlbaren Maßnahmen hatten bei damaligen Politikern zumindest aber durchaus Erfolge. Mit ohne Nase, oder ohne Ohren, oder ohne Hand erfüllte man immer noch seine Pflichten.

Was ich noch sehr interessant fand, waren die Beschreibungen über die Spionagetätigkeit dieser Europäer, die für die englische Krone arbeiteten. Das erinnerte mich verdammt an die Berichte über die CIA noch im ausgehenden 20. Jahrhundert.

Alles in allem ein überaus lehrreiches, spannendes und unterhaltendes Geschichtsbuch, wenn denn der Mensch tatsächlich etwas lernen würde, was ja nicht der Fall war, denn noch immer prügeln sie sich um Afghanistan.

„Die Britten hatten jedoch andere Pläne, und Harlans Kenntnisse blieben ungenutzt. Mit wachsender Verblüffung und sorge mußte er zusehen, wie das Empire Stück um Stück nach Kabul verpflanzt wurde. Jahrelang hatte sich Harlan intensiv mit den afghanischen Bräuchen und Sitten beschäftigt, während sich die Briten nicht im Geringsten um die lokale Kultur scherten, die sie mißbrauchten, verdrängten oder ignorierten. Sie spielten Polo und Cricket, hielten Teepartys ab und inszenierten Laienspiele. Einige holten ihre Frauen, die furchterregenden britischen Memsahibs, herbei, um besser vortäuschen zu können, daß Afghanistan wirklich ein Teil Indiens sei. Die schlimmste Unbequemlichkeit der frühen Tage – sie wurde bald behoben – war ein Mangel an Wein und Zigarren. Die Eroberer zeichneten sich nun zudem selbst mit Orden und Titeln für den erfolgreichen Feldzug aus: Auckland erhielt die Grafenwürde, Macnaghten den Titel eines Barons und Claude Wade die Ritterwürde. ‚Ritterschläge, Ordensbänder und Beförderungen wurden den Siegern über die elenden Afghanen mit verschwenderischem Großmut zugeteilt’, bemerkte Harlan mürrisch. Dies seien die Belohnungen Ihrer Majestät für ‚die Auslöschung einer freien Nation’.  (Zitat Seite 297)



Ben Macintyre: Der Mann, der König war

Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter
© 2005 Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG, Berlin
Bildnachweis: Schutzumschlag: obere Abb.: akg-images,
untere Abb.: akg-images / Paul Almasy