Mittwoch, 17. Oktober 2012

Kazuo Ishiguro: Was vom Tage übrigblieb


Anfang der 1990er Jahre kamen die Japaner als die große literarische Entdeckung auf den Buchmarkt. Warum ich damals, diesen Roman nicht gelesen habe, weiß ich gar nicht so genau.  Und als dann die Hollywoodverfilmung (oder war es eine englische Filmproduktion?) gezeigt wurde, da wußte ich schon nicht mehr, daß tatsächlich ein Japaner diesen damaligen Bestseller geschrieben hat. Jetzt im September brachte btb in seiner süßen besonderen Taschenbuchreihe eine Sonderausgabe heraus.

Es verwunderte mich zunächst schon ein kleines bißchen, daß ausgerechnet ein Japaner die Geschichte eines Butlers aus der ersten Hälfte des vergangen Jahrhunderts geschrieben hat. Kazuo Ishiguro läßt Stevens, Butler auf Darling Hall, im Rückblick als Icherzähler, über seine Jahre auf diesem englischen Schloß nachdenken und Stevens tut das in einer Sprache, wie sie gewählter und feiner wohl nicht sein könnte, was zum größten Teil den besonderen Reiz und Erfolg dieses Buches ausmacht.  Und dieser Erzählstil umschmeichelt einen dermaßen, daß man beim Lesen jeden Augenblick damit rechnet, daß Stevens hereinkommt um den Tee zu servieren. Das Stevens dabei ein emotionaler Krüppel, durch und durch eine Art  devotes unterwürfiges Faktotum seiner ebenso degenerierten Herrschaft zu sein scheint, kann man bei den von Stevens so geäußerten und erzählten Erinnerungen leicht vergessen. Das Empire, vor dem Ersten Weltkrieg noch eine Weltmacht, liegt in seinen letzten Zügen und nur noch reiche Amerikaner können sich nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren solche Anwesen wie Darling Hall mit Butler leisten.

Stevens zelebriert unbeirrt englischen Lebensstil, genauso wie seine Herrschaft und die entsprechenden Gäste.  Aber vielleicht mußte es eben doch jemand von Außen sein, der diese damaligen Zustände so eindrucksvoll schildern konnte, und wer wäre besser dazu geeignet, als ein Japaner? Das soll nicht heißen, daß alle Japaner devot sind, sondern eben traditionell. Und dieses traditionelle Element  ist der zweite Grund für den Erfolg dieses Romans und auch des Films. Übrigens erschien es mir jetzt beim Lesen so, daß die literarische Vorlage nahezu eins zu eins übernommen wurde und nur zwei oder drei kleinere Anekdoten enthält, die im Film nicht gezeigt wurden.

Es gibt noch einen Bereich, der bis zu einem gewissen Grad auch zum Erfolg dieses Romans geführt haben dürfte und den bezeichne ich als seine innere Qualität, die sich nicht bei oberflächlicher Betrachtung einstellt und das ist der, von dem ich annehme und hoffe, daß Ishiguro das auch so gemeint hat, denn es gibt Stellen, da hatte ich das Gefühl: So blöd kann doch kein Butler sein und in diesen Stellen wird es auf subtile Weise zuweilen tragisch.  Und das es dem Autor so ganz Ernst nicht gewesen sein kann, belegen für mich auch die letzten gedanklichen Betrachtungen  Stevens, die er zum Abschluß, im vorletzten Absatz, nach seiner Reise durch die englische Landschaft und seine Erinnerungen hoffnungsvoll anstellt:

„Es ist möglich, daß diese Personen hier einander einfach verbunden sind in der Freude auf den bevorstehenden Abend. Aber andererseits hat es, bilde ich mir ein, vermutlich mehr mit jener Fertigkeit des Scherzens zu tun. Während ich ihnen jetzt lausche, höre ich sie ei9ne scherzhafte Bemerkung nach der anderen wechseln. Auf diese Art, so möchte ich annehmen, gehen viele Menschen gerne vor. Es ist sogar möglich, daß mein Bankgefährte von vorhin erwartete, daß wir miteinander scherzen würden – in welchem Falle ich für ihn vermutlich eine große Enttäuschung war. Vielleicht wird es in der Tat Zeit, daß ich das ganze Problem des scherzhaften Tons mit größerem Nachdruck angehe. Schließlich ist es, wenn man es sich überlegt, gar keine so törichte Beschäftigung – zumal wenn es zutrifft, daß im scherzhaften Ton der Schlüssel zur menschlichen Wärme liegt.“ (Zitat Seite 405, vorletzte Seite.)


Kazuo Ishiguro: Was vom Tage übrigblieb

Aus dem Englischen von Hermann Stiehl
Einmalige Sonderausgabe September  2012
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Die Originalausgabe erschien 1989
© der deutschsprachigen Ausgabe 2005 by  
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Umschlagmotiv: JHB Studio / Graphistock / Corbis