Dienstag, 19. November 2013

Antoine de Saint-Exupéry: Wind, Sand und Sterne


Von allen Büchern, die ich in den letzten drei Jahren gelesen habe, war und ist dieses das Seltsamste, das Ungewohnteste, das Fremdartigste und es gab kein Anderes, welches ich damit vergleichen könnte. Pathos und Ethos klingen wie von einem anderen Stern.

Wäre es nicht Antoine de Saint-Exupéry, der hier einige Abschnitte aus seinem Leben berichtet, ein paar Ansichten über die Welt von sich gibt, vom Menschsein und von Menschlichkeit, so wie er es versteht und sieht, kein Schwein würde ein solches Buch heute drucken und ich glaube, nicht einmal schreiben und wahrscheinlich dürften sich die meisten unbedarften heutigen Leser fragen, wovon schreibt er da eigentlich. Krasser, so habe ich den Eindruck, könnte die Vorstellung und Darstellung der Welt und des Menschen nicht zu dem sein,  wie die Welt und der Mensch heute ist.

Geschrieben hat er dieses Buch 1937.  Für ihn gab es nur zwei Dinge, die ihm wichtig waren: Die Fliegerei und das Schreiben und beides verstand er als Dienst am Menschen.

1935  stürzte er über der ägyptischen Wüste ab, worüber er in diesem Buch auch berichtet. Es gibt neun Kapitel, wie: Die Kameraden, in dem sich eine Kameradschaft und Kollegialität zeigt, die es in der heutigen Arbeitswelt nicht mehr geben dürfte; Die Naturgewalten, die er ehrfurchtsvoll schildert; die heute zu erleben auch kaum noch möglich ist;  Das Flugzeug und der Planet; Die Wüste; Der Durst; Die Menschen.

„Du fühlst dich nicht als Bewohner eines Sterns, der durch den Weltraum irrt, du stellst keine Fragen, auf die du keine Antwort bekommst; nein, du bist ein kleiner Bürger von Toulouse. Als noch Zeit war, hat keiner dich mitzureißen versucht; nun ist der Lehm, aus dem du gemacht bist, eingetrocknet und hart, das verborgene göttliche Spiel in dir wird nie zum Klingen erwachen; Tot ist der Dichter, der Musiker, der Sternenforscher, die vielleicht auch in dir einst gewohnt haben.“ (Zitat, Seite 22)

Ich frage mich, was und wie er wohl heute schreiben würde, wenn er uns und unsere Welt heute beschreiben müßte?!



Antoine de Saint-Exupéry : Wind, Sand und Sterne

Ins Deutsche übertragen von Henrik Becker
© 1939 und 1999 by Karl Rauch Verlag KG Düsseldorf

Montag, 18. November 2013

Johannes Zeilinger: Auf brüchigem Eis


Was ist Wahrheit? – Okay, bei diesem Buch genauer gefragt: Was ist die Wahrheit? Natürlich weiß das auch Johannes Zeilinger nicht, der dieses Buch geschrieben hat, dem er eine mögliche Antwort von Karl Kraus zu diesem Thema angefügt hat. Und diese Antwort von Karl Kraus auf die Frage, wer den nun den Nordpol entdeckt hat ist: Die Dummheit! (Karl Kraus, Die Fackel, Nr. 287, XI Jahr, 16. September 1909)

Jedenfalls sind 1909 zwei Amerikaner, zwei Kontrahenten irgendwo im nordischen Eis gewesen. 2009, Hundert Jahre später, veröffentlicht Johannes Zeilinger, Jahrgang 1948, seines Zeichens Mediziner, Chirurg (Woher nimmt der die Zeit, ein so spannendes und unterhaltendes Buch zu schreiben?) ein Buch über die Eroberung des Nordpols!  

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches war er Vorsitzender der Karl May-Gesellschaft, Ausstellungskurator und bereits Verfasser mehrerer Bücher und Beiträge zur Karl May-Forschung und der Geschichte Zyperns, sowie einer Biographie der Schauspielerin Lya de Putti, 

Ich persönlich frage mich ja bei jedem Buch, ob mich der Autor verscheißern will und wenn ich das recht in Erinnerung habe, so war Karl May diesbezüglich nicht ganz ohne. Was ich aber glaube ist, daß Zeilinger bei der Recherche ausgesprochen gewissenhaft vorgegangen ist, mit größtem Sachverstand und Wissen schildert, was vor einhundert Jahren da so abging. Was er zu schreiben wußte, ging runter wie Öl bei mir, obwohl mir der Nordpol bislang scheißegal war.  Er ist mir immer noch egal, aber nun weiß ich vielleicht so in etwa, wie das damals gewesen sein könnte.

Sollte Zeilinger den Eindruck vermitteln, Frederick Cook war der erste Mann am Nordpol, bedenke man gewisse Sympathien, die Zeilinger für Cook hegen dürfte, so von Kollege zu Kollege.  Frederick Cook, einer der amerikanischen Polarforscher, der behauptet 1909 den Nordpol erreicht zu haben, war ebenfalls Mediziner. Und bei weitem der Nettere. Robert Peary, ein Ingenieur in der amerikanischen Armee, alles andere als ein Scharmbolzen, erreichte auch 1909, im Alter von 55 Jahren und mit nur zwei Zehen, die restlichen acht hatte er schon Jahre vorher irgendwo im Eis verloren, nach eigenen Angaben den Nordpol, wozu dann Karl Kraus, ebenfalls 1909, seine Glosse in seiner Zeitschrift schrieb.

Ach ja: Beide haben keine Beweise! Und die Kontroverse besteht bis heute und dürfte wohl niemals geklärt werden können. Insofern ist das was Zeilinger mit diesem Buch über die Hintergründe, die Persönlichkeiten und der damalige Zeitgeist das eigentliche Faszinosum.  (War jetzt eigentlich wirklich schon jemand auf dem Mond? Irgendwie haben die Amerikaner ja scheinbar Erfahrung mit Stoff, für Verschwörungstheorien?)

„Die Worte Wissenschaft und Forschung, einst noble Motive für die Welterkundung, waren dabei längst vergessen, und auch der Tarnmantel einer patriotischen Tat verbarg nur unzureichend den wahren Kern des Kampfes um den Nordpol, den grenzenlosen Ehrgeiz, die unstillbare  Sucht nach persönlichem Ruhm und Erfolg, die unstillbare Sucht nach persönlichem Ruhm und Erfolg.“ (Seite 57)


Johannes Zeilinger: Auf brüchigem Eis

© 2009 MSB Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH
(Für die Pingeligen unter den Leseratten: Die erste Auflage bietet jede Menge Druck- und Satzfehler!)  




Samstag, 26. Oktober 2013

Marguerite Duras: Der Liebhaber


So liebe ich meine Nachmittage:  Ruhe, Füße hoch, Zigaretten, Kaffee, zwei Stück Torte -  nein heute kommt garantiert kein Besuch und das Telephon ist ausgeschaltet -  und dann ein Buch von höchsten zweihundert Seiten in der Hand. Marcel Reich-Ranicki wußte warum er immer sagte, ein Roman solle höchstens zweihundert Seiten haben.  In einem Zug durchlesen und abtauchen, abheben, wegtreten! Und ab dafür!

Marguerite Duras ist eine meiner Lieblingsschriftstellerinnen und wurde 1914 in Vietnam, dem damaligen Französisch-Indochina,  als Marguerite Donnadier geboren. Sie schrieb auch Drehbücher und  arbeitete auch als Filmregisseurin.  Sie starb im Alter von 82 Jahren am 3. März 1996 in Paris. Zwölf Jahre vorher, im Jahr 1984 erschien ihr bis heute erfolgreichster Roman „Der Liebhaber“.  Den passenden „Scheißfilm“ dazu gab es auch, vom sich Duras heftig distanzierte.

Die Geschichte ist ganz einfach: Eine alte Frau, die Icherzählerin, sie ist Schriftstellerin und wollte nie etwas anderes sein, betrachtet ihr Gesicht, welches sich im laufe ihrer Lebens verändert hat und gerät in Gedanken. Gedanken an ihre Kindheit, an Indochina, ihre Mutter, ihr Leben, ihre Brüder, an Paris, den Weltkrieg; verschiedne Orte zu verschiedenen Zeiten. 

Ach ja, da war noch der chinesische Liebhaber, den sie hatte, als sie fünfzehn Jahre alt war und der sie auch mal in Paris besuchte, mit seiner Frau und seinen Kindern, als sie schon eine Schriftstellerin war.

Wer den Film kennt, wird glauben, es ginge in diesem Roman nur um dieses kleine weiße fünfzehn jährige Mädchen als Prostituierte, ausgehalten von einem schmächtigen zwölf Jahre älteren Chinesen mit dem Geld seines Vaters.  In dem Roman sind das aber nur zwei größere Absätze, ziemlich am Anfang und ziemlich am Ende. Pornographen, die nun aufgrund dieses Filmes, es gibt tatsächlich eine pornographische Fassung, und die wird gelegentlich ab 23.00 Uhr heutzutage im Fernsehen gesendet, sich in diesem Roman viel viel mehr schlüpfriges erhoffen, werden enttäuscht und sollten beim Film bleiben. 

Ohne das es nun einen durchgängigen Erzählstrang gäbe, kann man teil haben an den Gedanken, Erinnerungen der Icherzählerin, die hin und her springen, wie es eben Gedanken zuweilen tun, die Zeiträume überbrücken, irgendwie miteinander verbunden sind und den nächsten Gedanken, die nächste Stimmung auslösen.

Natürlich ist da der chinesische Liebhaber in seiner schwarzen Limousine mit Chauffeur, als sie fünfzehneinhalb Jahre alt war, mit ihrem Männerhut auf, dem Seidenkleidchen, den goldenen Sandalen, alles Ladenhüter und billig, ja und sie dachte über Prostitution nach, die Familie war arm.  Sie  hält die Mutter für wahnsinnig, der Vater tot, der ältere Bruder ein lebenslanger Versager, der erst mit 50 seinen ersten Lohn als Laufbursche  bekommt. Da sind die Erinnerungen an den jüngeren Bruder, der bis zu seinem frühen Tod der einzige Verbündete der Icherzählerin war. Und so erinnert sie sich auch an ihre Mitschülerinnen in Französisch-Indochina, an ihre Bekannten in Paris.

Wie sie nach Paris gekommen war, erfährt man natürlich auch, und dabei taucht auch wieder dieser chinesische Liebhaber mit seiner schwarzen Limousine auf. Klar hatten die Sex. Klar hat er sie mit fünfzehneinhalb Jahren entjungfert und sie war seine weiße Hure für gut eineinhalb Jahre. Aber dazuwischen erzählt uns diese alte Frau eben doch ganz ganz viel mehr Anderes.  Ich erwähne nur am Rande den homoerotischen Moment, als sie sich an eine wunderschöne Mitschülerin erinnerte und begehrte.  Aber die beiden Mädchen hatten keinen Sex.

Nun, es ist nur ein „schmales“ Bändchen, in der Originalsgabe nur einhundert Seiten.  Großzügig gesetzt wurden einhundertvierundneunzig deutsche Seiten daraus.  Irgendwie muß ja der hohe deutsche Buchpreis gerechtfertig werden.

Aber mein Lesenachmittag, auch mit Gänsehaut, auch mit dem einen oder anderen Schmunzeln über die Duras, ja, ganz klar, die Duras ist bekannt für autobiographische Züge in ihren Roman,  ist nun über diese Lektüre zum Abend geworden.  Und was macht man nun mit dem angebrochenen Abend? Am besten einen Liebhaber suchen!


Marguerite Duras: Der Liebhaber

Aus dem Französischen von Ilma Rakusa
© 1985 Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main

Freitag, 27. September 2013

Lesezeichen: Grazia Deledda: La madre.

Lesezeichen: Grazia Deledda: La madre: La madre handelt von einem jungen Priester, Paulo, seit sieben Jahren im Amt, in einem kleinen sardinischen Dorf. Grazia Deledda war eine „...

Montag, 9. September 2013

Früher habe ich geschrieben, ...

(Bibliothèque et Archives du Château de Chantilly)

"Früher habe ich geschrieben, wie mir der Schnabel gewachsen war. Es schrieb sich von selbst. Eine Skizze, Erzählung oder kleine Szene zu schreiben, kostete mich keine Mühe. Ich hüpfte wie ein junges Kalb oder Fohlen, das man hinausgelassen hatte in den freien und hellen Raum, sprang, schlug aus... Ich lachte und brachte die Umwelt zum Lachen. Ich nahm das Leben und zauste es, ohne darüber nachzudenken. Mir war heiter zumute, und was herauskam, muß für andere sehr komisch gewesen sein. Ich greife heute manchmal zu den früheren Erzählungen, lese sie und muß sehr lachen. Dann denke ich: 'So hast du mal geschrieben!'"

Anton Cechov an G.S. Petrov


Donnerstag, 15. August 2013

Santiago Roncagliolo: Roter April


Um genau zu wissen,  WO ich in diesem Roman eigentlich bin, mußte ich erst mal meinen fünf Euro teuren Atlas aus dem Netto bemühen.  Aha: Südamerika, Peru, Lima, und irgendein kleines Kaff in diesem Land ist der Ort des Geschehens.

Die zeitliche Orientierung ist ganz leicht: April, wie der Titel schon verrät, wobei die Geschichte am Donnerstag, den 9. März beginnt. und am 3. Mai endet.  Auch das Jahr scheint verbürgt: „Die Richtigkeit dessen beurkundet mit seiner Unterschrift am 3. Mai 2000 Carlos Martin Eléspuru, Beamter des Nationalen Nachrichtendienstes.

Diese beiden Orientierungen erscheinen mir recht wichtig, es sei denn, man kennt sich mit Peru und seiner wohl oftmals blutigen Geschichte aus. Diese Geschichte dieses Landes beleuchtet dieser Roman aber auch noch auf beeindruckende Weise. Der Autor dieses  2008 auf Deutsch erschienen Romans, wurde 1975 in Lima geboren, lebte zum diesem Zeitpunkt  schon einige Jahre in Barcelona und schrieb Drehbücher, Artikel für spanische und peruanische Zeitungen und Romane.

Um diesen oben erwähnten Beamten des Nachrichtendienstes Carlos Martin Elèspuru geht es aber nicht. Wie es sich für einen Beamten des Nachrichtendienstes gehört, bleibt er so gut wie im Hintergrund und spinnt seine Fäden im Auftrag der wirklichen Machthaber dieses Landes. Er taucht einmal in Begleitung eines Generals auf, als die Militärs das Sagen im Lande hatten( oder haben?), und dabei begegnet ihm der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Félix  Chacaltana, der immer Berichte verfaßt, die keiner liest. Und dieser unscheinbare stellvertretende Bezirksstaatsanwalt, zwischen 40 und 50 Jahre alt, ist nun der Held dieser Geschichte.

Chacaltana ist ein merkwürdiger Kerl. Geschieden, lebt alleine, seine Arbeit scheint wenig aufregend zu sein, es gibt einen demokratisch gewählten Präsidenten und die Zeiten des Terrors durch den Leuchtenden Pfad sind offiziell vorbei. Das Auftauchen einer grausam verstümmelten Leiche geschieht aber unter dubiosen Umständen, woraus Chacaltana natürlich feinsäuberliche Berichte verfaßt und während dieser Ermittlungen vollzieht sich offensichtlich ein Wandel in der Persönlichkeit unseres Helden.

Er beschäftigt sich nicht mehr so oft mit seiner toten Mutter, der er ein Zimmer eingerichtet hat und ihr feinordentlich auch das Nachthemd raus legt, verliebt sich in eine Kellnerin, die aber nicht nur Kellnerin ist,  er scheint Ehrgeiz zu entwickeln und seine Vorgesetzten fangen an, nicht nur seine Berichte zu lesen, sondern er erhält sogar uneingeschränkten Zugang zu ihnen. Ja, so langsam scheint Chacaltana Eier zu bekommen und wird fast ein richtiger Draufgänger. Unversehens findet er sich aber in einem „Strudel aberwitziger Gewalt“ (Zitat Klappentext) wieder.

Zitat: Chacaltana über sich selbst in einem Gespräch mit Edith, der Kellnerin, in die er sich verliebt hat:
„Ich bin ... niemand Wichtiges, Edith. Ich habe kein Auto. Und werde auch keines haben. Im Grunde eigne ich mich gar nicht für solche Festlichkeiten (er meint diesen Empfang, bei dem er dem General und dem Beamten des Nachrichtendienstes begegnete), glaube ich. Wenn ich mich zu unterhalten versuche, hört mir niemand zu. Vielleicht liegt es daran, daß ich nie wirklich verstehe, was auf diesen Festen passiert ... Ich glaube, ich verstehe nicht einmal, was in dieser Stadt passiert, in diesem Land. In letzter Zeit habe ich das Gefühl, daß ich überhaupt nichts mehr verstehe. Und es macht mir angst, nichts zu verstehen.“ (Seite 156)

Selten stimme ich mit den Beschreibungen eines Klappentextes überein.  Hier aber stimme ich voll und ganz zu:

Zitat: „Vor dem sehr realen Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Abgründe seines Landes erzählt der junge peruanische Autor einen temporeichen, psychologisch eindringlichen Thriller.“ (Klappentext)



Santiago Roncagliolo: Roter April

Aus dem Spanischen von Angelica Ammer
© 2008 Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner
Umschlagabbildung: „Coilurritti“, 1987, Cuzco, Peru

Montag, 12. August 2013

Christos Tsiolkas: Nur eine Ohrfeige



Nach reiflicher Überlegung komme ich nun doch zu dem Schluß, daß dieses Buch so was wie ein Furz ist. Mit dem Furzen habe ich nicht angefangen. Das war der Autor, der gleich auf der ersten Seite Hector, so was wie die Hauptfigur,  damit vorstellt und ihn erst mal kräftig furzen läßt.  Die Stellen, wo später gepinkelt  und Großes gemacht wird, habe ich mir nicht gemerkt.  Übrigens – alle, die in die Badewanne gehen, in diesem Roman, tun das in sehr sehr heißem Wasser. Damit will ich jetzt nicht unbedingt sagen, daß dem Autor nichts Besseres eingefallen sei. Und Hector war nicht der Einzige, der in diesem Roman gefurzt hat.

Hector ist 43 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und er furzt gerne, was seine Frau, Aisha, überhaupt nicht mag und wenn Hector beim furzen an seine Frau denkt, oder bei den Liegestützen und 150 Situps, die er ebenso täglich macht, fallen ihm Damenumkleidekabinen die nach Mösen riechen ein. Ja, nicht nur eine Möse, mindestens zwei oder mehr. So liebt es Hector. Ob er die junge Sprechstundehilfe, Connie, vergewaltigt hat, na ja, daß verrate ich jetzt mal nicht. Also Hector ist ein typischer Australier, glaubt man diesem Roman. Die restlichen Figuren auch, obwohl sie wohl aus dem gesamten Commenwelth und auch aus Griechenland irgendwann mal eingewandert sind.

Männer furzen im Durchschnitt 13 Mal am Tag und Frauen sieben mal. Fragt mich jetzt bitte nicht, wer diese Zahl ermittelt hat. Ich hatte schon genug Probleme, nämlich 508 Seiten lang, mich die ganze Zeit zu fragen und möglich zu klären, was denn dieses ganze Geschreibsel eigentlich soll. Schon möglich das ich zu blöd zum Lesen geworden bin. Oder vielleicht zu alt. 

Der Roman erschien im letzten Jahr bei Klett-Cotta und ist wohl das, was man neue deutsche Welle in der Literatur nennen könnte: Frisch, frech, locker, flockig vom Hocker, salopp im Stil, provozierend... was weiß ich. Jedenfalls konnte ich den furzenden Hector nicht mehr aus meiner Nase raus kriegen.  Obwohl, er dann doch nicht die Hauptfigur war. Ich weiß gar nicht, ob man das Buch hier wirklich als Roman bezeichnen kann.

Es gibt  acht Kapitel: Hector; Anouk, Harry, Connie, Rosie, Manolis, Aisha, Richie! Und man erfährt alles, wirklich alles über sie und ihre Leute.

Anouk ist eine der besten Freundinnen von Aisha, die ja mit Hector verheiratet und Tierärztin ist, Connie ist Aishas Sprechstundenhilfe und hatte einen bisexuellen Vater, der in London, dem schwulen Loch, an Aids gestorbenen war und zog dann zu ihrer Tante (oder war es vielleicht doch ihre Mutter? Die hat kein eigenes Kapitel bekommen).  Anouk, Drehbuchautorin, natürlich mit jugendlichem Liebhaber aus der Serie, und Rosie, beide mit eigenem Kapitel, sind beste Freundinnen von Aisha.

Manolis ist der Vater von Hector, Grieche, wen wundert es, bei den Namen. Richie ist ein junges schwules Bürschchen und in Hector verliebt und seine beste Freundin ist Connie. Soweit so klar?! Nein, ich sage euch jetzt nicht, wer wen fickt, oder gefickt hat, oder ficken wollte. Ich sage jetzt auch nicht, wer welche Drogen nimmt, oder wieviel Alkohol trinkt. Auch nicht, wer einsam ist, pleite, oder sonst wie frustriert.  Alles drin in den 510 Seiten. Okay, 509 Seiten. Auf der letzten Seite ist eine Danksagung. Wie rührend, daß da jemand den Autor „zahlungsfähig“ (Seite 510) gehalten hat. Jetzt habe ich glatt den geläuterten australischen Ureinwohner vergessen.

Ich sagte, der Roman habe eigentlich keine Hauptfigur. Es gibt aber ein Ereignis wie der Titel ja ahnen läßt: Die Ohrfeige! Die verpaßt Harry dem vierjährigen Sohn von Rosie auf einer Gartenparty. Rosie gibt ihrem Sohn immer noch die Brust; öffentlich.  In den einzelnen Kapiteln nun offenbart sich das banale Leben aller genannten und irgendwie beteiligten, es tun sich Abgründe auf. Man könnte also durchaus jedes Kapitel für sich als Sozialstudie lesen und von mir aus auch ein bißchen Psychoanalyse betreiben. Komisch allerdings wirkt es nicht; jedenfalls nicht bei mir.

Das liegt, würde ich mal sagen, an der Erzählerfigur und am Stil dieses Buches. Weitgehend ist der Stil essayistisch, beschreibend, kurze Sätze. Alles irgendwie banal. Gelegentlich stellt sich dann aber doch, endlich, mal der Eindruck ein, daß da etwas erzählt wird und es gibt auch einige Erzählerkommentare: 

„Willkommen im Australien des frühen 21. Jahrhunderts.“ (Seite 120)
„Gott ist ein Flachwichser.“ (Seite 370)

Und manchmal scheint dieser Erzähler sogar ins philosophieren zu geraten, obwohl ich seine Themen ziemlich ausgelutscht finde: Liebe, Treue, Geld, Moral, Erziehung, Alter, Generationskonflikt?!

Auf 509 Seiten kann man eine ganze Menge rein packten, drüber plappern und schreiben und vielleicht fragt sich dann noch manch anderer Leser, was er da eigentlich gelesen hat und wie es kommt, daß ein einstmals so renommierter Verlag, wie Klett-Cotta, diesen Roman offensichtlich nicht für einen Furz hält und dem Autor ist es gelungen, die vertrackte,  banale, australische Realität zu zeigen.

Allerdings habe ich Australien und seine Menschen irgendwie anders in Erinnerung. Klar, haben die auch gefurzt. So wie ich auch.



Christos Tsiolkas: Nur eine Ohrfeige


Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
© 2012 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Schutzumschlag: Rohfos & Gabler, Hamburg
Unter Verwendung des Umschlags von Carrado Bosi, cdf-ittica.it
Foto: getty-images (Taxi/Maria Spann)

Montag, 5. August 2013

Silvina Ocampo u. Adolfo Bioy Casares: Der Hass der Liebenden


Irgendwo an der Atlantikküste, da wo ein Sturm ein ganzes Hotel im Sand versinken lassen kann – wir müssen also in Südamerika sein -,  wird Mary vergiftet. Mary ist eine wunderschöne junge Frau. Okay, sie hat sich an den Verlobten ihrer Schwester herangemacht. Aber ich will nicht vorgreifen.

Nachdem Doktor Humberto Hubermann seine morgendliche Dröhnung Arsenglobuli, immer zehn Kügelchen, auch am Abend, zu sich genommen hat, ist er noch nicht einmal im Hotel Central angekommen und hat schon schlechte Laune.

Wir sind erst am Anfang dieses Krimis von 167 Seiten, aber ich hatte schon auf Seite 13 dann doch das Gefühl, daß er mich im Szenario, den Figuren und der Handlung an einen Krimi  von Agatha Christie erinnert.

Das war so der Zeitpunkt, als ich begann zu fürchten, aus der erhofften Literarischen Entdeckung wird wohl nichts.  Und schon sehr bald reute mich die Ausgabe von 18,85 € für dieses kleine Bändchen.

Es gibt dann eine Handvoll der üblichen Verdächtigen und irgendwie spinnt sich doch so etwas wie ein ungewöhnliches und seltenes Verwirrspiel, das an Ping Pong erinnert.

Irgendwie Ping Pong muß es ja auch gewesen sein, denn diesen Roman schrieben zwei Schriftsteller: Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Beiden sich mit großer eigener Freude und zum Spaß, so am Abend vielleicht vorm Kamin liegend, irgendwo in Südamerika, beim Sandsturm, die Zettelchen mit ihren Texten zuschoben.  Sie waren ja miteinander verheiratet und das wohl recht lang.  So am Stück bekommt das Ganze einen ungewöhnlichen Stil, auch die Sprache ist ungewöhnlich und auch wenn man Agatha Christie ums Verrecken nicht abschütteln kann, erliegt man durchaus bis zu einem gewissen Grade dem Gefühl, zumindest etwas ganz Neues zu lesen, obwohl das Ding 1942 geschrieben wurde.

Da die wenigen Seiten ausgesprochen großzügig bedruckt sind, hält der Lesespaß nicht lange an.  Und ab Seite 100 war klar, da kommt nicht viel mehr an Entwicklung, an Struktur, an Sprache und Verwicklungen. Ich glaube, beim Chinesischen Essen hält der Grad der Sättigung auch nie lange an.

Genauso erging es mir eben bei diesem Roman, in dem sich eigentlich nie so richtig etwas entwickelte; weder die Handlung, noch die Figuren und alle Bilder waren von Agatha Christie belegt. Allerdings einer sehr, sehr dünnen. So, als wäre es ein erster Entwurf, ein Plot, für einen größeren Roman, der noch geschrieben sein wollte.




Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares: Der Hass der Liebenden

Aus dem Spanischen übersetzt von Petra Strien-Bourmer
© 2010 by Manesse Verlag, Zürich
Umschlaggestaltung: glanegger.com, München
unter Verwendung von Motiven von
© Jodi Cobb und Christopher Ray Robertson


Montag, 29. Juli 2013

Jón Kalman Stefánsson: Himmel und Hölle


„Lesen kann tödlich sein“, erst recht, im Irgendwo von Island.  Dabei fällt mir gerade ein: Ich habe keine Ahnung von Island, seinen Menschen, seiner Kultur.   Ich untersuche gerade meine zerdrückten Zigarettenschachteln nach einem weiteren passenden Spruch, der sich auf das Lesen ummünzen ließe, denn in diesem Roman gibt es die verschiedensten Isländer und Isländerinnen, die entweder Lesen, oder nicht Lesen, und ein Buch mit Gedichten von Milton, die ein isländischer Schullehrer, oder war es ein Pastor, ins Isländisch übersetzt hatte.

Das mit dem Lesen und dem Buch ist aber nicht allein der Inhalt dieser Geschichte, sondern mehr etwas Anekdotisches, durchaus von der Erzählerfigur augenzwinkernd und am Rand erzählt, so als wolle er vermitteln, in Island wird auch gelesen, gibt es Bücher und werden auch welche geschrieben und die Menschen haben eine Kultur.

„Wir wollen von denen erzählen, die in unseren Tagen gelebt haben, vor mehr als hundert Jahren, und die für dich kaum mehr sind als Namen auf schiefen Kreuzen und geborstenen Grabsteinen. Leben und Erinnerungen, die nach dem unerbittlichen Gesetz der Zeit ausgelöscht wurden. Genau das wollen wir ändern. Unsere Worte sind eine Art Lebensretter in unermüdlichem Einsatz, sie müssen vergangene Geschehnisse und erloschene Leben dem Schwarzen Loch des Vergessens entreißen, was keine geringe Aufgabe ist. Gern dürfen sie unterwegs ein paar Antworten finden und uns hier wegholen, ehe es zu spät ist. Aber lassen wir’s vorerst dabei, wir schicken die Worte an dich weiter, diese ratlosen, zerstreuten Lebensretter, die sich ihres Auftrags gar nicht sicher sind – sämtliche Kompasse spielen verrückt, Landkarten sind zerfleddert oder veraltet -, aber nimm sie trotzdem in Empfang. Und dann sehen wir, was passiert.“ (Seite 7)

So geleitet, befinden wir uns also in der Zeit kurz vor dem ausgehenden 19. Jahrhundert auf Island, in einem Dorf, genauer gesagt, einem Fischerdorf, was sonst ,auf Island der damaligen Zeit. Es gab schon Gesetze, die das Fischen regeln. Um drei Uhr Morgens erschallt ein Trompetensignal, auf das alle Fischer gewartet haben, denn vorher dürfen sie in ihren offenen Särgen nicht hinaus auf See.  Es ist eine fremdartige Welt, die uns der Erzähler da näher bringt und die darin handelnden Menschen erscheinen eigenartig. Und dennoch gibt es Verbindendes und Vertrautes.

Da gibt es nun den Jungen. Er dürfte so vierzehn, fünfzehn Jahre alt sein.  Er arbeitet mit auf einem Sechsruderer.  Angeleitet wird er von Bárdur (die Schreibweise des Namens habe ich mal ähnlich dargestellt; ich weiß jetzt nicht wie ich meinem PC die Originalschreibweise beibringen kann). 

Bárdur ist so was wie eine Vaterersatzfigur für den Jungen, dessen Vater ertrunken ist. Kein Isländer hat damals Schwimmen gelernt.  So geht das Ertrinken schneller.  Bárdur hatte einen Freund mit vierhundert Büchern, von dem er sich immer Eines zum Lesen auslieh. Und gerade las Bárdur  Gedichte von Milton und lernte Eines auswendig, damit er es dem Jungen, dann auf See, während der langen Wartezeiten in der Kälte, vortragen konnte.

Übrigens ist dieser Freund von Bárdur mit den vierhundert Büchern blind beim Lesen geworden.  Womit ich wieder bei den Sprüchen meiner Zigarettenschachteln wäre und daran erinnern möchte, daß Lesen der Gesundheit schaden könnte.  Es gibt auch immer wieder einige nette Erzählerkommentare über den Sinn und Unsinn des Lesens und von Büchern überhaupt.  Damit kann ich jetzt auch mal was über den Erzähler einfügen.

Die Erzählerfigur ist hier eine ganz ungewöhnliche, eine recht moderne Form: Sie ist nicht eindeutig!  Mal haben wir den auktorialen Erzähler, mal den außen stehenden Erzähler und mal Einen, der den Leser an die Hand nimmt. Und es entsteht zuweilen der Eindruck, der Erzähler könnte mittendrin gewesen sein. Ein geschicktes und interessantes Stilmittel des Autors. Ein guter Trick um den Leser und die Leserin zu fesseln.

Lesen kann tödlich sein! Für Bárdur war es genau das. Bevor das Trompetensignal in der Nacht alle Fischer des Dorfes in die Boote zum Auslaufen rief, lernte er gerade das Gedicht von Milton auswendig. Und bevor er die Hütte verließ, las er es nochmals, damit er es nicht vergaß. Dabei vergaß er seinen Anorak.

Es gibt zwei große Teile in diesem Roman, wie der Titel schon ahnen läßt.  Im ersten Teil sind wir in dem Dorf  und warten auf das Signal zum Auslaufen und dann beim Fischen auf See.  Und das wird zum langen Sterben von Bárdur, der erfrieren muß, weil er ein Gedicht auswendig gelernt hat und der Junge muß dabei zusehen.

Im zweitel Teil entschließt sich der Junge, sich das Leben zu nehmen. Aber vorher will er das Buch von Milton seinem Besitzer, dem blinden Kapitän zurückbringen und dazu muß er in ein anderes Dorf, ein, zwei Tagesmärsche weit entfernt.

„Hölle ist, nicht zu wissen, ob wir lebendig oder tot sind“ (Seite 101)

Nun scheint Island zwar nicht gerade übervoll von Menschen zu sein, aber das Zurückbringen eines Buches, bringt dann doch so manche Schwierigkeiten und merkwürdige Begebenheiten mit sich. Und da gibt es schon auch Isländer, die auf einer Lesung von Charles Dickens in London gewesen sein können, oder junge Zimmermädchen in einem Hotel, die einen fünfunddreißig Jahre älteren reichen Knacker geheiratet, dann überlebt und beerbt haben.  Und so mancher Seefahrer aus dem Süden hat seine braunen Augen auf Island gelassen.  

Jedenfalls, ich nehme mal das Ende vorweg: Der Junge kommt irgendwie wieder ins Leben zurück und es gibt ein wunderschönes Happy End, auch wenn sich alle das Maul darüber zerreißen mögen, ob nun auf Island oder in Pusemukel.  

Und um nochmals auf die Gefahren des Lesens zurück zu kommen: In diesem Roman ist es so, daß die Leser die besseren Menschen und Figuren gewesen sind.

Eindrucksvoll, stimmungsvoll, ergreifend.


Jón Kalman Stefánsson: Himmel und Hölle

Aus dem Isländischen übersetzt von Karl-Ludwig Wetzig
© 2009 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Umschlaggestaltung: Stefan Schmid Design, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von © Paul Nicklen, getty images


Samstag, 13. Juli 2013

Nicolas Michel: Emilies letzte Reise


Es überrascht mich immer wieder, welch außergewöhnliche und verblüffende Geschichten eine ganz bestimmte Generation von Autoren und Autorinnen erzählen. Das sind die Jahrgänge ab 1970. Sie erzählen diese Geschichten mit einer spielerischen Lässigkeit, unbekümmerter Respektlosigkeit und zuweilen auch mit schöner Meisterschaft im Schreiben.  Und als Leser staune ich dann nur noch und verwundere mich darüber,  daß es offensichtlich noch sehr viele Geschichten gibt, die so noch nicht erzählt wurden.

Nicolas Michel hat seinem Roman ein Zitat von Carlos Fuentes vorangestellt: „Jedenfalls öffnete sich hinter ihr der Rachen eines gefräßigen Ungeheuers mit langen Zähnen, das in Wahrheit ein Zirkuseingang war. Diesem aufgerissenen Maul entflogen Fledermäuse und Teufel, arme Seelen, Sukkuben und Inkuben:[...]“ (Diana oder die einsame Jägerin). Okay, Carlos Fuentes zu kennen, ist schon mal eine kleine Empfehlung für einen jungen Autor.

Die Geschichte aber beginnt mit Makrelen, einem ganzen Schwarm sogar, irgendwo um Korsika herum.  Und sie haben Hunger.  Den stillen sie an einer weiblichen Leiche. Diese Leiche ist die Heldin in dieser Fabel und es ist unglaublich, welchen Weg Emilie treibt, welche Begegnungen sie hat.  Es scheint fast so, die Leiche macht mehr Bekanntschaften, als manch lebender Mensch. Und jede neue Bekanntschaft ist wieder eine neue, interessante außergewöhnliche Geschichte und das Verbindende ist, daß der Leser so etwas über Emilie, ihr Leben und Schicksal erfährt.

Ich habe Eingangs etwas über junge Autoren und Autorinnen einer bestimmten Generation erwähnt und deren Schreiben wohnt etwas inne, da frage ich mich dann schon, ob das sein muß.

Jules, ein junger Mann, geht Morgens regelmäßig an den Stand um zu Angeln und holt sich dann erst mal einen runter.  An dem Morgen, als er Emilie begegnet hat er es ausnahmsweise nicht getan. Völlig unbeeindruckt befreit er Emilies Hand, zwischen zwei Felsen eingeklemmt,  und sieht dann zu, wie die wunderschöne Leiche wieder ins Meer treibt. Dann raucht er erst mal eine Zigarette als wäre es das normalste auf der Welt am Stand eine Leiche zu finden und beobachtet eine junge Frau, die er schon oft Morgens hier gesehen hatte, die in den Sand des Standes pinkelt  damit es Jules auch sehen kann. Ja, die beiden treiben es dann auch miteinander, während Emilie, die Leiche, schon ganz woanders hingetrieben und außer Sicht ist.  

Was ich damit sagen will ist: Man findet  solche Stellen in dieser Generation von Schreiberlingen und Schreiberlingen oft.  Aber so wichtig ist das Pissen und Wichsen nicht in diesen Texten; es sind wohl eher Randbemerkungen die ein wenig den Zeitgeist dokumentieren sollen. 

Turbulent geht Emilies Treiben weiter,  Emilies Begegnungen als Leiche sind abenteuerlich, spannend, außergewöhnlich, ein buntes „Zirkustreiben“ wird es an Figuren und Schicksalen, man erfährt das WIE und auch das WIESO, aber alles ganz anders, als man es erwartet, es ist eine Rückblende,  ja und dann...... ja, so spielt das Leben.

Erwartet hier keine weitere Angabe des Inhaltes von mir und versucht nicht noch mehr über den Inhalt dieses kleinen Büchleins mit nur 159 Seiten zu erfahren. Ihr brächtet euch vielleicht um ein spannendes Leseerlebnis.


Ich muß mal googeln, was es von Nicolas Michel sonst noch zu lesen gibt.



Nicolas Michel: Emilies letzte Reise

Aus dem Französischen von Renate Nentwig
© 2003, Klett-Cotta, Stuttgart
Schutzumschlag und Foto: Philippa Walz, Stuttgart










Freitag, 28. Juni 2013

Zülfü Livaneli: Glückseligkeit


Ob nun wirklich alle türkischen Männern sexuell verklemmt sind und eben ein Problem mit ihrer Sexualität haben, wie es in Zülfü Livanelis Roman Glückseligkeit an einer Stelle heißt, weiß ich nicht so genau. Es würde mich aber auch nicht wundern. Ich persönlich kenne nur ganz wenige Männer, die kein Problem damit haben.  Allerdings leben die nicht in einer Gesellschaft die erwartet, daß ihre möglichen Opfer sich einen Strick nehmen und aufhängen.  

Bei Livaneli ist Meryem, was Marie heißt, siebzehn und sie wurde in ihrem anatolischen Dorf vergewaltigt und in den Keller gesperrt. Und nun wartet das ganze Dorf und die Familie genau eben darauf, daß sie Selbstmord begeht, daß sie sich aufhängt. Damit fängt dieser Roman an.  Und der Roman handelt im Heute.

„Nach Meinung ihres Onkels waren alle Männer Sünder, aber die Frauen waren am schlimmsten. Als Frau auf die Welt gekommen zu sein, war Grund genug um bestraft zu werden. Schon die Urmutter Eva hatte die Menschen ins Verderben gestürzt. Deshalb muß man dafür sorgen, daß sie immer ein Kind im Bauch haben und die Schläge eines Stocks auf dem Rücken spüren. Denn die Frauen sind das Unglück des Menschengeschlechts. Weil Meryem solche Reden während ihrer ganzen Jugend gehört hatte, fand sie es widerwärtig, eine Frau zu sein, und fragte: ‚Lieber Gott, warum hast du mich nur als Frau erschaffen?’“ (Seite 16)

Nach ein paar Tagen ist klar, daß sich Meryem nicht selber aufhängen wird, in diesem anatolischen Dorf und so wird ein traumatisierter Kriegsveteran, Veteran ist gut, ein junger Mann und Cousin aus ihrem Dorf ausgeguckt, mit ihr nach Istanbul zu fahren.  Das Istanbul dafür steht, irgendwo getötet zu werden, wo einen niemand kennt, ist Meryem nicht klar. Sie freut sich dann sogar, nach Istanbul zu kommen.

Istanbul! Ja, das ist dann eine ganz andere Türkei!? Um dies zu zeigen, erzählt Livaneli in diesem Roman von einem dritten Schicksal; klar ein Mann, ein liberaler Professor, berühmt, verheiratet, erfolgreich und er schaut sich auch schon mal mit seiner Ehefrau überall frei erhältliche Pornos an, die seine Frau dann gerne mit ihm nachmacht. Soweit so gut. Dennoch muß dieser Professor immer heulen, und dann schmeißt er alles hin! 

Meryem, ihr Cousin, der es nicht brachte, Meryem auf dem Weg nach Istanbul zu töten, und der ausgestiegene Professor treffen dann irgendwann in der  Ägäis zusammen, auf eine Yacht und das in diesem Roman nachzulesen und zu verfolgen ist eine ausgesprochen interessante Sache und auch schon mal ziemlich rührend, bis schmalzig.

Das Glückseligkeit im literarischen Sinne ein paar kleine Schwächen hat, ist in diesem Falle nicht wichtig. An der Wahrhaftigkeit dieses Textes besteht kein Zweifel, was diesen Roman zu einem wichtigen Bestandteil der interkulturellen Literatur macht.

Das Ende ist dann auch noch überraschend und die Glückseeligkeit sieht dann etwas anders aus, als der deutsche Leser vielleicht erwarten würde, entspricht aber Zülfü Livanelis Persönlichkeit, den ich nun inzwischen natürlich gegoogelt habe, der nicht nur engagierte Bücher schreibt, sondern noch singt und gefühlvolle Lieder schreibt und Filme macht.  Offensichtlich kann man also auch seine sexuellen Probleme in den Griff kriegen, wenn man denn welche hat und der Rest ergibt sich dann von selbst.



Zülfü Livaneli: Glückseligkeit

Aus dem Türkischen von Wolfgang Riemann
© 2008 J.G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Schutzumschlag: malsyteufel, Willich
Fotos aus dem Film „Bliss/Glückseligkeit“


Donnerstag, 27. Juni 2013

Jhumpa Lahiri: Einmal im Leben


Der Pulitzer-Preis, der Nobelpreis und einige andere Auszeichnungen, das sind schon mal Freifahrtscheine für die nächsten Veröffentlichungen.
Einen solchen Freifahrtschein erhielt Jhumpa Lahiri im Jahre 2000 für Interpreter of Maladies (deutschsprachiger Titel: Melancholie der Ankunft) . 

Sie ist bengalischer Abstammung, wurde 1967 in London geboren, wuchs in Rohde Island auf, ist verheirat und hat zwei Kinder. Heute lebt sie in Brooklyn. (Stand 2008)

Ihr Thema ist das Leben und die Probleme Indo-Amerikaner und sie schreibt aus ihrer Sicht als betroffenen, sie ist, wie oben erwähnt,  selbst eine Indo-Amerikanerin.  

Das alles machte mich dann doch neugierig, der Rowohlt Verlag ist ja auch nicht der Schlechteste und tönte gar auf dem Klappentext, „die Pulitzerpeisträgerin [...] entfaltet in dieser wunderschönen Liebesgeschichte eine ganze Welt voll schicksalhafter Dramatik, mit einer Prosa von suggestiver Eleganz und größtem Feingefühl.“

Ich falle doch immer wieder auf solche Klappentexte rein. aber vielleicht waren es auch meine Erinnerungen an meine Reisen durch das Indien der 1980er Jahre.

Zwischen dem Pulitzer-Preis und dem Erscheinen dieses Buches liegen acht Jahre. Da verfällt eigentlich ein Freifahrtschein. Und irgendwie assoziiere ich mit dem Namen Lahiri jetzt  immer „larifari“.  

Hema ist die Erzählerin dieser  Geschichte. Es ist ihre Geschichte und sie ist verliebt in Kaushik. Also später. Zunächst können die Kinder nichts miteinander anfangen. Man kommt aus Bengalen, lebt in Massachusetts. Irgend jemand stirbt natürlich, die Dramatik muß ja rein, die Zeit vergeht, man begegnet sich in Rom, zwanzig Jahre später, Hema führt ein unbefriedigendes Geliebtendasein, nein nicht mit Kausik, der ist am Ende seiner Fotojournalistenkarriere. Beide treffen sich, die quasi Heimatlosen, kulturell wie geistig.
„Eine jähe, wilde Liebe schlägt sie in den Bann und verheißt einen Hafen, doch ein dunkler italienischer Herbst wirft seine Schatten voraus...“ (Klappentext) Von wegen: Pustekuchen! (Männer, die Frauen in Bengalen sind scheinbar immer noch das, was man ihnen in den 1980er Jahren nachgesagt hat).

Ich sag jetzt nicht, daß es langweilig war, das zu lesen. So ab und an gab es doch einige auffällige Verhaltensweisen, die auf interessante und liebenswerte ethnische Eigenheiten zurückzuführen sind. Bei weitem aber nicht genug, als etwas anderes in diesem Roman zu sehen, als eben, na ja, eine nette Liebesgeschichte,  nicht gerade auf dem Niveau eines Dreigroschenromans, aber eben auch nicht mehr als Unterhaltung, wobei der Grad dessen, was Unterhaltung ist, ja bekanntlich schwer festzulegen ist.

 Es war eben mehr oder weniger Larifari.  Eine typische, stereotype 08/15 US-Bestsellerproduktion.



Jhumpa Lahiri: Einmal im Leben
Aus dem Englischen von Gertraude Krueger

© 2008 by Rowohlt Verlag, GmbH, Reinbek bei Hamburg
Umschlaggestaltung: Anzinger | Wüschner | Rasp, München
Umschlagfoto: David Muench/Corbis


Dienstag, 4. Juni 2013

Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wieviele?


Sechs Jahre stand das Buch, nachdem ich die Einleitung damals gelesen hatte, ganz unten in meinem Bücherregal.  Da sprang mir nichts sofort ins Gesicht.

Wer oder was der Autor war, davon hatte ich auch keine Ahnung und das dieses Buch auf der Spiegel Bestsellerliste ganz oben stand, schreckte mich ohnedies ab. Offensichtlich wurde Richard David Precht in den Jahren, in denen sein Buch in meinem Regal verstaubte immer medienpräsenter und obwohl ich nunmehr seid vier Jahren kein Fernsehen mehr gucke und keine Zeitungen lese, erfuhr ich doch von der teilweise heftig geführten Kontroverse um den Autor und seine Bücher.

Dann stand sie für mich im Raume, die Frage: Wer oder was ist interessanter: Autor oder Buch? Ergo: zweiter Leseversuch!

Die heftige Diskussion um Precht ist natürlich zum größten Teil bullschit  und läßt sich in der Regel auf Neid und Dummheit herunterbrechen, soweit es dieses Buch betrifft. Genaugenommen ist das auch völlig belanglos.

In diesem Buch liefert Precht einen soliden allgemeinen Überblick über das, was 2007, als das Buch erschien, in der Philosophie und sie betreffende Disziplinen  an deutschen Universitäten gelehrt wurde und zum größten Teil, heute noch gelehrt wird.  Nichts Neues und er stellt auch keine neuen Thesen oder Theorien auf.  Kein Grund also, sich aufzuregen.

Precht geht nicht das geringste Risiko ein, nicht einmal das, eventuell nicht verstanden zu werden, denn seine Darstellungen könnten nicht einfacher und unverbindlicher sein und damit zielt er natürlich auf das Verständnis der breiten Masse.  

Wenn er in seiner Einleitung zu diesem Buch schreibt, eine Einführung liefern zu wollen, so darf man natürlich keine wissenschaftliche Einführung in die Philosophie zum Beispiel erwarten.  Hätte er eine wissenschaftliche Einführung im Sinne eines Fachbuches gemacht, wäre dieser Band nie in irgendwelchen Bestenlisten aufgetaucht.

„Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ ist ein nettes einfaches Buch, solide auch in seinem Stil, uninteressant für wissenschaftlich gebildete Leser , selbst wenn die sich nur unterhalten lassen wollen, oder gar Wissenschaftler aus den behandelten Disziplinen, es sei denn sie wollen wissen, ob sie eventuell zitiert wurden oder studieren, wie man schreiben muß, um einen möglichen Bestseller zu landen.

Einem möglichen Leser vermittelt das übersichtliche Inhaltsverzeichnis sofort einen klaren Überblick: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? sind die drei großen Oberbegriffe und dann folgen die Überschriften eben für die einzelnen Kapitel und wenn dieser mögliche Leser der irgendwie neugierig auf Precht oder dieses Buch geworden ist,  sich dann kurz die Zeit nimmt, eine oder zwei Seiten eines ihn interessierenden Kapitels anzulesen,  ergibt sich für diesen sofort eine zuverlässige Antwort auf die von mir oben gestellte Frage, ob das Buch interessant ist.

Was meine Frage, die für mich im Raume stand, angeht, so habe ich meine Antworten gefunden, auch wenn sie anders sein mögen, als gemeinhin erwartet und auch, wenn es neue Fragen aufwirft, was man aber eben von einem soliden Autor, Philosophen und Buch ja auch erwarten kann.  


Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele?

© 2007 Goldmann Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Oliver Weiss
Umschlagmotiv: Oliver Weiss


Samstag, 1. Juni 2013

Alia Yunis: Feigen in Detroit


Der Plot klingt gut: Das Leben amerikanisierter Araber in den USA nach dem 11. September, erzählt von der uralten Fatima aus einem Dorf im Libanon, die das erste ihrer zehn Kinder in Detroit zur Welt brachte, wohin sie ihrem ersten Ehemann gefolgt war, der in den 1950er Jahren wie viele andere Araber für Mister Ford dort Autos baute. Fatima lebt bei ihrem Lieblingsenkel Amir in L.A. der schwul ist und empfängt jede Nacht Scheherazade, der sie Geschichten erzählt, wobei klar ist, daß Fatima nach der 1001 Nacht sterben wird.  

Offensichtlich gibt es eine Zeitung in Minneapolis, die heißt Minneapolis Star Tribune und dann gibt es noch so etwas wie Booklist, und die beiden werden nun auf dem Einband der deutschen Ausgabe zitiert.

„Eine schräge, köstliche Mischung aus Gesellschaftsroman, Familiendrama und Komödie.“ schrieb wohl  die Minneapolis Star Tribune und die Booklist, was immer auch Booklist sein mag, wird wie folgt zitiert: „Ein magischer, scharfsinniger Roman voller Herzenswärme und Humor.“

Da kann man dann schon mal auf die Idee kommen, so etwas zu lesen und was der Einband über Alia Yunis mitteilt, nämlich das sie Schriftstellerin, Journalistin und Filmemacherin sei, als Tochter eines libanesischen Diplomaten in Chicago geboren (Wer war die Mutter?)  und nun in Abu Dhabi an der Uni Kommunikationswissenschaft lehrt, klingt auch nicht schlecht.

Ja, und die ersten fünfzig Seiten lesen sich dann auch noch recht gut.....

Der Roman beginnt mit der 992. Nacht.  Wir sind also in L.A., da wird es dann am Ende tatsächlich auch eine Feige geben, an einem Feigenbaum, der 68 Jahre früher vom Libanon mitgebracht und zunächst in Detroit eingepflanzt wurde – also nix Feigen in Detroit, es sei denn die Autorin benutzt die Feigen als Metapher für die Kinder Fatimas.  Aber ich habe nur wenig Tiefsinniges oder gar Hintergründiges in diesem Roman gefunden, noch ist der Aufbau der Erzählstruktur oder gar der Handlung etwas Besonderes. Also Fatima versucht tagsüber ihrem schwulen Enkel eine Ehefrau zu finden, während Scheherazade auf ihrem fliegenden Teppich alle Kinder irgendwo in den Staaten aufsucht und man so Freud und Leid einer unglaublich riesigen Schar von amerikanisierten Arabern erfährt, flach und langweilig aneinandergereiht, ohne besondere Dramaturgie und ich fragte mich die ganze Zeit, wo denn die köstliche Mischung sei, das Drama, die Komödie, das Magische und Scharfsinnige. Statt dessen Alltägliches und Normales, was uns sicher daran erinnert, daß alle menschliche Existenz bedingt leidvoll ist.

Alles in allem, eine, in meinen Augen und für meinen Geschmack, mäßige, ohne jede literarische Raffinesse, auch beliebige, unspektakuläre Umsetzung des Plots. Schade eigentlich.



Alia Yunis: Feigen in Detroit

Aus dem Amerikanischen von
Nadine Püschel und Max Stadler
© Aufbau Verlag GmbH & Co.KG, Berlin 2010
Umschlaggestaltung hißmann, heilmann, hamburg / Gundula Hißmann



Mittwoch, 24. April 2013

Notker Wolf: Worauf warten wir?


Grundsätzlich möchte ich vorausschicken: Ich habe so meine Probleme mit Pfaffenröcken, die anfangen sich politisch oder gesellschaftskritisch  zu äußern. Ich gehöre zu denen, die froh sind, in einem säkularisierten Staat zu leben.  

 Hinzukommt, daß ich einige Partys mitgemacht habe, auf denen kirchliche Würdenträger, Mönche und deren Äbte aus den unterschiedlichsten Orden, Ehrengäste waren und Lobeshymnen auf die wohlhabenden Gastgeber sangen.  Die Betonung liegt auf wohlhabende Gastgeber, meistens Industrielle und Unternehmer, die sich diesen Lobgesang gerne etwas kosten ließen.  Und darin drückt sich für mich heute auch noch deutlich aus, wie sehr kirchliche Würdenträger mit den weltlichen Machthabern verbandelt sind und durchaus Einfluß haben.  Das ist natürlich nur eine erste und subjektive Sichtweise von mir, eher eben ein Gefühl.

Vielleicht habe ich deshalb diesen Buch fünf Jahre in meinem Regal stehen gehabt, ohne es lesen zu wollen.  Außerdem fände ich ketzerische Gedanken zur katholischen Kirche weitaus interessanter.

Nun ist Notker Wolf kein gewöhnlicher Pfaffe, er ist Abtprimas der Benediktiner und studierte nicht nur Theologie, sondern auch Philosophie und irgend etwas aus dem Bereich Naturwissenschaft.  Ich bleibe allerdings dabei, daß auch ihm keine direkte Kritik zusteht solange er ein kirchliches Gewand trägt.

Wahrscheinlich hat er so etwas geahnt, denn seine ketzerischen Gedanken zu Deutschland, wie sie in diesem Buch vorgelegt werden, sind gar keine ketzerischen Gedanken zu Deutschland. Natürlich verkaufte sich das Buch so besser.

Im Wesentlichen schreibt Wolf über sich, seine Arbeit, über die Benediktiner. Er schreibt dann weiter über seinen kooperativen Führungsstil und wie die Benediktiner ihren Laden organisieren und im Griff haben.  Am Beispiel der Errichtung eines Krankenhauses in China, von der Planung bis zur Umsetzung, den Problemen mit den Chinesen und dem chinesischen System berichtet Wolf, wie dieses Projekt nach langen Jahren erfolgreich umgesetzt werden konnte.

Also noch mal: Dieses Buch ist keine Kritik und ketzerisch sind seine Gedanken zur allgemeinen Arbeitsmoral und gesellschaftlichem Verhalten auch nicht. Klar kommt  auch schon mal der erhobene Zeigefinger des Pfaffen durch, wenn es um die Managergehälter geht oder sogar um das was Popstars so verdienen.  Er schimpf auch schon mal über die Politik: „Dem Volk die Wahrheit unter allen Umständen vorenthalten und ihm das Maul mit Liebesperlen stopfen, um wiedergewählt zu werden, das gehört mittlerweile zur Geschäftsgrundlage der deutschen Politik.“ (Wolf, Seite 90)

Man wird eine Menge solcher Aussagen finden und der brave Leser wird von Herzen zustimmen und konstatieren können, besser als diese Schmarotzer, Drückeberger oder sonst was,  zu sein.

Natürlich habe ich dieses Buch dann doch durchaus interessant gefunden, aber mir bleibt ein bitter Nachgeschmack, der weniger mit dem Buch zu tun hat, als vielmehr mit dieser Gesellschaft. Ob nun Chinesisch, oder Deutsch, oder Katholisch.



Notker Wolf: Worauf warten wir?

Rowohlt Taschenbuchverlag
© 2006 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg
Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur München
(Foto: Notker Wolf OSB)





Montag, 25. März 2013

Sibylle Berg: Der Mann schläft


Die Frau in diesem Roman schreibt Gebrauchsanweisungen. Davon kann die alte Frau ganz gut und bequem leben und muß nicht so wie die übrigen Sklaven jeden Tag ins Büro.

Die Frau, die irgendwann vor ihren Wechseljahren, mal irgendwie ganz gut ausgesehen hat, bekommt inzwischen keine jungen Männer mehr ab. Die Frau ist nicht sehr reich genug und förderliche Beziehungen und Verbindungen, durch man eben einen jungen Kerl ins Bett kriegen würde, hat die Frau auch nicht. 

Die Frau hat auch so gut wie keine Freunde mehr und eine letzte Bekannte hackt sich die Hand ab, nachdem die Frau ihr gesagt hat, wie oberflächlich und verlogen und nervig diese Bekanntschaft sei. Und natürlich will die Frau auch keine Freundschaften und Bekanntschaften mehr, die sind genauso blöd, wie die Sklaven in Büros. 

Was die Frau hat, sind jede Menge Erkenntnisse und Gedanken zu allem was man so hört und mitbekommt und denken könnte: Mülltrennung, Freundschaft, idiotische Esoteriker (nein, das schreibt sie nicht wortwörtlich), Äpfel, Homoehe, Sekten wie die katholische Kirche, Tsunamis, was sie mag und was sie nicht mag, die Lügen in den Medien, Gott ist böse und und und.

Inzwischen fragt man sich, wieso der Titel dieses Romans, „Der Mann schläft“ ist?

Ganz einfach. Die alte Frau, die mir recht überspannt, melancholisch und merkwürdig erscheint, die sich zu jedem Furz Gedanken macht und etwas sagt, diese Frau findet dann einen 110 kg schweren Mann, auf dessen Bauch sie sich gerne legt, oder unter dessen Hemd sie gerne kriecht und mit dem ist sie dann vier Jahre zusammen.

Okay, der Mann schläft nicht immer, spricht aber wenig, immerhin trägt er die Frau und erträgt sie. Er tritt also eher nur am Rande auf, ich glaube es gibt nicht eine wörtliche Rede von ihm, allerdings ißt der Mann auch und sitzt mit ihr in Cafes, oder in Mailand. Über den Zwerg, auf einer Tessiner Insel, oder den Masseur auf einer Insel vor Hongkong im Südchinesischen Meer, erfährt man aber mehr, als über den Mann der schläft, den sie am Anfang nur mag und am Ende des Buches liebt, obwohl er da schon abgetaucht und nicht mehr zu finden ist.

Er wollte was vom Chinesen holen (Jungs und Mädels, ihr kennt die Zigaretten-holen-gehen-nicht-zurück-kommen-nummer, wobei ich persönlich ja glaube, daß die Meisten wissen, warum der oder die nicht wiederkommen und daß das nicht so überraschend sein kann).

Anfangs habe ich den Mann der schläft ja bewundert für seinen Langmut und wie er diese Frau auf den ersten 150 Seiten ertragen hat, die es sich in ihrer Welt so schön, aber doch unerfüllend, eingerichtet hat, daß alle anderen blöd waren, nur sie selbst nicht. 

Ich habe mich natürlich auch dabei ertappt, wie es mir gefallen hat, wenn sie so mit ihren Ansichten alles andere platt gemacht hat.

Die Frau erzählt ihre Geschichte auf zwei Erzählsträngen als Icherzählerin: Da ist Heute und da ist Damals. Das Heute spielt im Südchinesischen Meer, das Damals Zuhause. Dramaturgisch führt die Autorin diese beiden Ebenen sehr interessant zusammen. Da die Frau aber größtenteils nur von sich erzählt und ihren Ansichten, bleibt die Handlung ziemlich auf der Strecke und alles eher vordergründig als tiefgründig.  Wahrscheinlich wird die alte Frau irgendwann mal eine recht verbitterte Oma mit abgedroschenen Omaweisheiten. (Irgendwie kein Wunder).

Ich war ziemlich neugierig auf einen Roman von Sibylle Berg. Sie twittert schon seit Jahren gerne, fickt nicht und kauft nichts heißt es da, zeigt sich jetzt wohl inzwischen auch auf facebook und kommt in den Medien gut rüber, so als blickte sie einem unter die Haut.  

Es mag durchaus sein, das ich da einiges in diesem Roman nicht verstanden habe: Die Nummer mit den Prothesen z.B. Vielleicht schlafe ich ja noch. Aber ich werde den Roman nicht noch einmal lesen, obwohl er ganz gut geschrieben ist, man also keine Angst haben muß, daß man dabei einschläft.  Aber mir ist da zuwenig Handlung und zuviel Psychogramm der Ich-Erzählerin. Ein anderes Buch von Sibylle Berg, ja, das werde ich bei Gelegenheit mal versuchen, wenn ich nicht schlafen kann.



Sibylle Berg: Der Mann schläft

© Carl Hanser Verlag 2009
Schutzumschlag: Peter-Andreas Hassiepen, München
Foto: © Toni Anzenberger


Freitag, 22. März 2013

Wilfried N'Sondé: Das Herz der Leopardenkinder


Leopardenkinder sind geborene Schwarzafrikaner, die ihr Land verlassen haben oder verlassen mußten und in der Fremde leben.  Unseren „Held“ hat es nach Frankreich verschlagen, nach Paris, da hat er studiert und sein Examen gemacht. 

Der gerade mal 124 Seite kurze Roman beginnt mit dem Aufwachen unseres Helden in einer Gefängniszelle.  Er ist noch nicht ganz Nüchtern, er wurde zusammengeschlagen und jetzt löchert ihn ein Kommissar mit Fragen, Fragen, Fragen.

Verlassen und Erniedrig stürzt eine Flut von Erinnerungen auf ihn ein.  „Und immer wieder werden die Stimmen der Ahnen lebendig, die von Ehre, Stolz und magischen Kräften künden.“ (Klappentext)   Da ist die Erinnerung an Mireille und seine leidenschaftliche Liebe zu ihr, die er verlassen hat um der Hoffnungslosigkeit der öden Vorstädte zu entfliehen; er erinnert sich an seinen Blutsbruder Darissa und er erinnert sich an Kamel der zu einem Fanatiker geworden war.

„Und auch später, wenn die Worte des Ahnen so laut in meiner kleinen Brust widerhallten, daß ich ins Taumeln kam: Das Wichtigste ist die Schule. Vergiss nie, daß du nicht zu Hause bist, als Fremder hast du es schwerer. Du mußt immer besser sein als der Weiße, sonst verachtet er dich!" (Seite 77)

Wenn ich einen Schwarzen oder eine Schwarze in der U-Bahn oder sonst wo sehe, in diesem Land oder einem anderen europäischen Land, dann frage ich mich immer, wie sie sich wohl fühlen mögen, was sie denken und wie es ihnen geht.  Eine mögliche Antwort lieferte mir dieser beeindruckende, unter die Haut gehende Roman.


Wilfried N’Sondé: Das Herz der Leopardenkinder

Aus dem Französischen von Brigitte Große
© Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2008
Umschlaggestaltung: Michael Keller, München


Donnerstag, 21. März 2013

2013 gelesen!


124. Michael Roes: Nah Inverness
123. Jean Echenoz: Das Puzzle des Byron Caine
122. Hans-Peter Dürr (Hrsg.): Physik und Transzendenz
121. Nicolas Fargues: Die Rolle meines Lebens
120. Patrick Modiano: Im Café der verlorenen Jugend
119. José Saramago: Das Zentrum
118. John Irving: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
117. Ernst Jandl: lechts und rinks
116. Johannes Zeilinger: Auf brüchigem Eis
115. Mark Twain: Tom Sawyers Abenteuer
114. John Brunner: Am falschen Ende der Zeit
113. Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas
112: Marion Gräfin Dönhoff: Kindheit in Ostpreußen
111. Michael Ondaatje: Der englische Patient
110. Marguerite Duras: Der Liebhaber
109. Raoul Schrott: Gilgamesh
108. Lutherbibel erklärt
107. Evan Currie: In die Dunkelheit
106. Günter Grass: Die Blechtrommel
 105. Robert Walser: Geschwister Tanner
104. Peter L. Berger, Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit
103.  Arthur Schnitzler: Therese
102. Antoine de Saint-Exupéry
101. Franz Kafka: Der Proceß
100. Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray
99. Aldous Huxley: Das Genie und die Göttin
98. Anton Cechov: Er und sie - Frühe Erzählungen 1880 - 1885
97. Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts
96. Gert und Marlén von Kunhardt: Keine Zeit und trotzdem Fit
95.  Zahiruddin Muhammad Babur: Die Erinnerungen des ersten Großmoguls von Indien
Das Babur-nama
94. Stefan Zweig: Schachnovelle
93. Christopher Keane: Schritt für Schritt zum erfolgreichen Drehbuch
 92. Charles Dickens: Oliver Twist
91. Joseph Roth: Radetzkymarsch
90. Jürgen Habermas: Nachmetaphysisches Denken
89. Joey Goebel: Vincent
88. David Hume: Untersuchung über den menschlichen Verstand
87. Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter
86. Aldous Huxley: Schöne neue Welt
85. Lew Tolstoi: Die Kreutzersonate
84. Christos Tsiolkas: Nur eine Ohrfeige
83. Albert Camus: Die Pest
82. Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares: Der Hass der Liebenden

81. Santiago Roncagliolo: Roter April
80. Oliver Pfohlmann: Robert Musil
79. Albert Sánchez Pinol: Im Rausch der Stille
77. Phil LaMarche: American Youth
76. Jón Kalman Stefánsson: Himmel und Hölle
75. Andreas Maier: Sanssouci
74. Peter Stamm: Ungefähre Landschaft
73. C.W. Ceram: Götter Gräber und Gelehrte
72. Nakagami Kenji: Mandala der Lüste
71. Oliver Sacks: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
70. Uwe Schultz: Immanuel Kant
69. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft
68. Nicolas Michel: Emilies letzte Reise
67. Eduard Habsburg: Lena in Waldersbach
66. Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
65. Robert A. Heinlein: Fremder in einer fremden Welt

64. Leopold von Sacher-Masoch: Venus im Pelz
63. Hiromi Kawakami: Herr Nakano und die Frauen
62. Elias Canetti: Die gerettete Zunge
61. Thomas Mann: Bekenntnisse der Hochstaplers Felux Krull
60. Elias Canetti: Die Hochzeit
59. Elfriede Jelinek: Lust
58. Uwe Neumann: Platon
57. Albert Camus: Der Fall
56. Alia Yunis: Feigen in Detroit
55. Wolfgang Herrndorf: Tschick
54. Helene M. Kastinger Riley: Hildegard von Bingen
53. Greg Bear: Äon
52. Helmuth Nürnberger: Joseph Roth
51. Gottfried Martin: Sokrates
50. Grazia Deledda: Zia Maria
49. Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele?
48. Elias Canetti: Die Blendung
47. Valery Larbaud: Die Farben Roms
46. Henry Fielding: Eine Reise von dieser Welt in die nächste
45. Helmut Göbel: Elias Canetti
44. Jeffrey Eugenides: Die Selbstmord-Schwestern
43. Lily Tuck: Die Geliebte des Diktators
42. Joseph Roth:Hiob
41. Leonardo Padura: Adiós Hemingway
40. Toni Morrison: Gnade
39. Tanja Blixen: Die Rache der Engel
38. Nadine Gordimer: Niemand der mit mir geht
37. Joeseph Roth: Hotel Savoy
36. A. L. Kennedy: Das blaue Buch
35. Sibylle Berg: Der Mann schäft
34. Junot Diaz: Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao
33. Origenes: Römerbriefkommentar
32. Benedict Wells: Becks letzter Sommer
 
31. Sándor Márai: Die Nacht vor der Scheidung
30. John Burnside: Die Spur des Teufels
 29. Benjamin Lebert: Flug der Pelikane
28. Véronique Olmi: Die Promenade
27. Philip Roth: Jedermann
26. Doron Rabinovici: Andernorts
25. Matthias Politycki: Jenseitsnovelle
24. Jorgen Nordheim: Der Adjutant
23. Colm Tóibin: Porträt des Meisters in mittleren Jahren
22. Bettina Galvagni: Melancholia
21. Mikael Engström: Ihr kriegt mich nicht!
20. George Santayana: Der letzte Puritaner
19. Marcus Braun: Armor
18. Jhumpa Lahiri: Einmal im Leben
17. Robert Seethaler: Jetzt wirds Ernst
  16. Agnellus von Ravenna: Liber Pontificalis - Bischofsbuch II
15.Ash Erdogan: Die stadt mit der roten Pelerine
14. Stephan Wackwitz: Ein unsichtbares Land
13. Erving Goffman: Wir spielen alle Theater
12. Joey Goebel: Heartland
11. Notker Wolf: Worauf warten wir?
10. Norbert Gstrein: Die Winter im Süden
9. Albert Camus: Der erste Mensch
8. Marlene Streeruwitz: Kreuzungen
7. Eduard Stucken: Die weissen Götter Band 2
Detlev Jasper: Das Papstwahldekret von 1059
5. Giuseppe Ferrandino: Preicle der Schwarze
4. Rawi Hage: Als ob es kein Morgen gäbe
3. Wilfried N'Sondé: Das Herz der Leopardenkinder
2.Laura Alcoba: Das Kaninchenhaus
 1. Nadine Gordimer: Schreiben und Sein