Dienstag, 19. Februar 2013

Bettina Galvagni: Melancholia


Bettina Galvagni hat es geschafft! Als sie 17 Jahre alt war, schrieb und veröffentlichte sie ihr erstes großes Prosawerk, einen von der Literaturkritik hochgelobten „Roman“. Melancholia erschien 1997 im angesehenen Residenz Verlag. Laut wikipedia ist Bettina Galvagni heute Ärztin, nachdem sie unter die Räder des Literaturbetriebes gekommen war! So kann es einem enfant prodige gehen.  Jahre später fragte mal die Zeit in einem Artikel, was denn aus ihr geworden sei, da wohl die meisten ihrer Bücher als Mängelexemplare auf Wühltischen verramscht wurden und in Antiquariaten verstaubten. Ob ich es nun vom Wühltisch oder aus einem Antiquariat habe, weiß ich nicht mehr.  Nachdem ich es aber gelesen habe, hoffe ich inständig, daß Bettina Galvagni Ärztin bleibt und nicht mehr schreibt.  Erfahrungsgemäß aber steht das leider nicht zu erwarten, denn in Melancholia schreibt sie selbst:

„Mein Leben lang wird das Schreiben wie ein Damoklesschwert vor mir hängen und die warnenden Kassandrarufe ausgebeutetwerdender Anamnese hintergehen. Langsam wird es mir Gift auf die Zunge legen. Ich werde andere Leute in meinen Reaktor einschleusen, sie in- und auswendigkennen wie ein Theaterspieler seinen Text.“ (Seite 183)

Aber was ist Melancholia nun für ein Buch? Der Verlag nennt es (vorsichtshalber?) „ihre erste große Prosaarbeit“ aber schnell sprach die Kritik von einem Roman und erging sich geradezu in Lobeshymnen. Allerdings habe ich jetzt keine Ahnung, ob es nicht doch vielleicht jemanden gegeben hat, der damals diese Prosaarbeit verrissen hat.

Bettina ist die Hauptfigur. Ein junges Mädchen, wahrscheinlich siebzehn, vor, oder in der Matura und immer wieder krank und im Krankenhaus. Der Vater ist auch im Krankenhaus. Aber nicht immer. Es geht um Krebs,  Magersucht, Schizophrenie, Amputation, oder ist es doch nur der Blinddarm?  War es die Tante oder die Mutter, die irgendwann die Frage nach der eingebildeten Krankheit stellte? Ist auch nicht wichtig. Bettina liest! Bettina liest wie eine Bekloppte! Auf rororo-Monographien fährt sie besonders ab.  Sie ließt fast soviel wie ich. 

Und Bettina schreibt auch. Tolle Sätze zum Teil. Oh ja. Sie versucht sogar James Joyce nachzuahmen und schafft es eine ganze Seite in Melancholia  ohne Satzzeichen zu schreiben. Allerdings wurde das mit Leerstellen gesetzt; anders als im Ulysses.  Ist eigentlich auch egal.

Wie gesagt, ein paar ihrer Sätze, die man so eben völlig unsortiert wie Gedanken in sein Tagebusch schreibt, in diesem Alter, klingen lyrisch und poetisch, sind bildhaft, außergewöhnlich, auch schon mal schön, auch mal stark und provozierend und auch amüsant. Ja, ich erinnere mich an meine Stieftochter. Die konnte das auch mit 17, wie wohl die meisten in dem Alter. Alles kein Grund in dieser Prosaarbeit etwas außergewöhnliches zu sehen, oder gar von einem Roman zu sprechen und mit experimenteller Literatur hat es auch nichts zu tun und erst recht nicht ist es in der Tradition der offenen Moderne gehalten. Melancholia ist in meinen Augen nicht mehr und nicht weniger als die Spielerei eines intelligenten jungen Mädchens, eine Träumerei von Büchern, Ländern, Lesen, Schreiben und Krankheiten.

„Als eine Tante ein paar Tage mit mir verbrachte, hat sie gemeint, ich sei verrückt, völlig verrückt, so verrückt, daß man es nicht mehr aushalten könne. Man kann doch nicht den ganzen Haufen Bücher absorbieren und bei Philosophiearbeiten in der Schule in einer Stunde zwanzig Seiten schreiben, das ist doch nicht möglich, und Nietzsche und Heidegger, das geht doch nicht. Ich pflichtete ihr bei, es war kurz vor der ersten Philosophiearbeit im zweiten Semester, und schluckte weniger Bücheraspirin als gewöhnlich.“(Seite 51)

Bettina Galvagni: Melancholia

© 1997 Residenz Verlag, Salzburg und Wien


Mittwoch, 6. Februar 2013

Robert Seethaler: Jetzt wirds ernst


In und an diesem Buch stimmt eigentlich alles. Sogar der Klappentext:

„Mit ungestümer Zärtlichkeit, entwaffnendem Humor und ganz dicht dran an seinen Figuren schildert Robert Seethaler den Werdegang eines Jungen aus einer kleinen Provinzstadt, der es auf Umwegen schafft, seinen Traum zu verwirklichen. Dabei erzählt er von Freundschaft, Mädchen, Sex, Geburt, Tod, dem Theater, schlechten Frisuren und pinkfarbenen Chevrolets.“

Ernst wird es natürlich, wenn man als Schauspieler, auch wenn man nur einen Apfelbaum spielt, seinen Text vergißt und dann auch noch umfällt, wie der Held dieser Geschichte, der sie dann auch erzählt. Und damit es auch jeder versteht, fängt er mit seiner Geburt an., was ja auch eine ernste Angelegenheit sein kann.  Nach diesem Sturz in die Welt aber, geht es fast locker, flockig, vom Hocker weiter und das unglaublich lebendig, tatsächlich manchmal ausgelassen, naiv, rührend, ironisch, lakonisch. Und immer wieder wird es ernst dabei. Ernst im dem Sinne,  daß es gilt, einige Hürden und Schicksalsschläge im Leben hin zu nehmen. Im vorletzten Kapitel des Buches steht unser Held wieder auf der Bühne und wir erfahren warum er im ersten Kapitel auf die Fresse gefallen ist.  Das letzte Kapitel dann, und das ist dann das Ende seiner  Adoleszenz, läßt  drohend und auch verheißungsvoll, den wahre Ernst des Lebens aufscheinen.

Das Leben ist eine ernste Angelegenheit; da tut eine solch leichte und kurzweilige Komödie, die Seethaler hier bravourös geschrieben hat ganz gut.

Und fast glaube ich, es wird irgendwann weitergehen mit diesem Helden. Das letzte Kapitel ist eindeutig ein bühnenreifer Abschluß und Ausblick auf eine Fortsetzung.


Robert Seethaler: Jetzt wirds ernst

© 2010 by Kein & Aber AG Zürich
Foto Robert Seethaler: Achim Hehn


Dienstag, 5. Februar 2013

Stephan Wackwitz: Ein unsichtbares Land


Warum mir dieser Roman nicht gefallen hat? Ganz einfach: Er ist kein Roman und auch kein Familienroman, wie es draufsteht. Dann kommt hinzu, daß ich keinen Wackwitz kenne und in diesem Buch kommen gleich mehrere als die Hauptpersonen vor: Der Enkel Wackwitz, der die ganze Geschichte erzählt, der Vater des Enkels und der Großvater. Es gibt noch ein paar mehr, die mich ebensowenig interessierten und die Linie reichte bis ins Mittelalter zu den Ottonen. Offensichtlich gelang es nicht, die Linie auf Karl den Großen zurückzuführen, was ja für viele heute ein dringendes Bedürfnis zu sein scheint.  Wo komme ich her, wer bin ich, wo gehe ich hin? Was hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin? Das will dieser sogenannte Familienroman vermitteln und darstellen.

Ich habe auch nichts mit den Schlesiern am Hut, außer, daß ich einmal ein paar Jahre eine Freundin hatte, die heute aber in Zürich lebt, und ihre Eltern stammten aus Schlesien und ich hörte dann so einige Berichte über sogenannte Schlesiertreffen, die ja auch lange Zeit durch die Presse geisterten. Ach ja, und ich kannte einen Briefträger, der wie ein Graf aussah und sich als Hobby mit den Schlesiern und den verloren Ostprovinzen beschäftigte, der auch die umfangreichste Videosammlung von pornographischen Filmen hatte. Aber das nur am Rande.

Die Wackwitz haben also was mit Schlesien zu tun und wohnten in der Nähe von Auschwitz, auch als es noch Habsburgisch war.  Doch kommt eher Anhalt vor, und die Weber, womit wir im 16. Jahrhundert wären und dem Protestantismus über dem wir dann bei Rudi Dutschke landen, von dem der Enkel auch einiges zu erzählen hat, wie auch von Ernst Bloch, neben dem er wohl mal stand. Übrigens stand der Großvater mal neben Adolf Hitler, als Hitler noch ein Niemand war, und jetzt weiß ich es nicht mehr so genau, ob es der Vater dann in Berlin war, der in Rufweite von Adolf Hitler stand, als dieser mit Rosen beworfen wurde.  Ist auch egal, weil es mich ja eigentlich nicht interessierte, obwohl ich mich jetzt frage, wie denn das möglich war, weil doch eigentlich der Großvater Pastor in Namibia war und irgend jemand in Kanada in Kriegsgefangenschaft war, weil 1939 das Schiff vor Afrikas Küsten, welches auf dem Einband abgebildet ist, mit den Wackwitz aus Namibia versenkt wurde, was aber alle überlebt hatten und die Männer zumindest Zigarre rauchend im Rettungsboot saßen. Ob sich der Enkel an diese Geschichte 2001 erinnerte, als er in Tokio in einer Buchhandlung irgendein Buch gekauft hat, oder in Krakau, wo er wohnte und arbeitete und die Geschichten des Großvaters gelesen hat, weiß ich jetzt in der Erinnerung nicht mehr so genau.

Natürlich habe ich mich die ganze Zeit gefragt, was soll dieser ganze Scheiß, was will der Autor eigentlich damit sagen und wie klingt denn das Ganze und was hat das mit Literatur zu tun. Apropos Literatur: Marcel-Reich Ranicki macht der Autor mit einem Satz platt und stellt ihn in die Ecke zu den Deutschlehrern!  Ich denke, aufdröseln läßt sich diese ganze Familiengeschichte natürlich nur von der Person des Autors. Und der ist zwar kein Deutschlehrer, aber auf mich wirkt er wie ein „Bildungskleinbürger“; ein Germanist, ein Historiker, ein Lektor, ein Leiter eines Goethe-Institutes, der schon ein paar Aufsätze und ein paar Bücher geschrieben hat. Und seinen Großvater kann ich irgendwie recht gut verstehen, wenn dieser so gut wie nicht mehr, mit seinem Enkel geredet hat.

Ein unsichtbares Land erzählt eine persönliche Familiengeschichte. Persönliche Familiengeschichten haben wir alle! Ich erzähle hier jetzt nicht, was mir meine Großmutter mütterlicherseits über Nikolaus II. erzählt hat, oder der Sohn von Hans Martin Schleyer. Normalerweise werden solche Geschichten nicht als Roman verkauft und selten werden sie in renommierten Verlagen veröffentlicht.

Jetzt habe ich noch gar nichts über Stephan Wackwitz’ Schreibstil gesagt: Es gibt sicher Bildungsbürger, die lange Sätze, inhaltliche und zeitliche Sprünge mögen. Wenn diese dann Wackwitz heißen, Wackwitz kennen, Schlesier sind, Briefträger oder Lektoren, dann, ja dann denke ich, finden sie auch irgend etwas in diesem Buch.



Stephan Wackwitz: Ein unsichtbares Land

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2003
Umschlaggestaltung: +malsy
Titelabbildung: Die „Adolph Woermann“
Foto von Gustav Wackwitz