Freitag, 28. Juni 2013

Zülfü Livaneli: Glückseligkeit


Ob nun wirklich alle türkischen Männern sexuell verklemmt sind und eben ein Problem mit ihrer Sexualität haben, wie es in Zülfü Livanelis Roman Glückseligkeit an einer Stelle heißt, weiß ich nicht so genau. Es würde mich aber auch nicht wundern. Ich persönlich kenne nur ganz wenige Männer, die kein Problem damit haben.  Allerdings leben die nicht in einer Gesellschaft die erwartet, daß ihre möglichen Opfer sich einen Strick nehmen und aufhängen.  

Bei Livaneli ist Meryem, was Marie heißt, siebzehn und sie wurde in ihrem anatolischen Dorf vergewaltigt und in den Keller gesperrt. Und nun wartet das ganze Dorf und die Familie genau eben darauf, daß sie Selbstmord begeht, daß sie sich aufhängt. Damit fängt dieser Roman an.  Und der Roman handelt im Heute.

„Nach Meinung ihres Onkels waren alle Männer Sünder, aber die Frauen waren am schlimmsten. Als Frau auf die Welt gekommen zu sein, war Grund genug um bestraft zu werden. Schon die Urmutter Eva hatte die Menschen ins Verderben gestürzt. Deshalb muß man dafür sorgen, daß sie immer ein Kind im Bauch haben und die Schläge eines Stocks auf dem Rücken spüren. Denn die Frauen sind das Unglück des Menschengeschlechts. Weil Meryem solche Reden während ihrer ganzen Jugend gehört hatte, fand sie es widerwärtig, eine Frau zu sein, und fragte: ‚Lieber Gott, warum hast du mich nur als Frau erschaffen?’“ (Seite 16)

Nach ein paar Tagen ist klar, daß sich Meryem nicht selber aufhängen wird, in diesem anatolischen Dorf und so wird ein traumatisierter Kriegsveteran, Veteran ist gut, ein junger Mann und Cousin aus ihrem Dorf ausgeguckt, mit ihr nach Istanbul zu fahren.  Das Istanbul dafür steht, irgendwo getötet zu werden, wo einen niemand kennt, ist Meryem nicht klar. Sie freut sich dann sogar, nach Istanbul zu kommen.

Istanbul! Ja, das ist dann eine ganz andere Türkei!? Um dies zu zeigen, erzählt Livaneli in diesem Roman von einem dritten Schicksal; klar ein Mann, ein liberaler Professor, berühmt, verheiratet, erfolgreich und er schaut sich auch schon mal mit seiner Ehefrau überall frei erhältliche Pornos an, die seine Frau dann gerne mit ihm nachmacht. Soweit so gut. Dennoch muß dieser Professor immer heulen, und dann schmeißt er alles hin! 

Meryem, ihr Cousin, der es nicht brachte, Meryem auf dem Weg nach Istanbul zu töten, und der ausgestiegene Professor treffen dann irgendwann in der  Ägäis zusammen, auf eine Yacht und das in diesem Roman nachzulesen und zu verfolgen ist eine ausgesprochen interessante Sache und auch schon mal ziemlich rührend, bis schmalzig.

Das Glückseligkeit im literarischen Sinne ein paar kleine Schwächen hat, ist in diesem Falle nicht wichtig. An der Wahrhaftigkeit dieses Textes besteht kein Zweifel, was diesen Roman zu einem wichtigen Bestandteil der interkulturellen Literatur macht.

Das Ende ist dann auch noch überraschend und die Glückseeligkeit sieht dann etwas anders aus, als der deutsche Leser vielleicht erwarten würde, entspricht aber Zülfü Livanelis Persönlichkeit, den ich nun inzwischen natürlich gegoogelt habe, der nicht nur engagierte Bücher schreibt, sondern noch singt und gefühlvolle Lieder schreibt und Filme macht.  Offensichtlich kann man also auch seine sexuellen Probleme in den Griff kriegen, wenn man denn welche hat und der Rest ergibt sich dann von selbst.



Zülfü Livaneli: Glückseligkeit

Aus dem Türkischen von Wolfgang Riemann
© 2008 J.G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Schutzumschlag: malsyteufel, Willich
Fotos aus dem Film „Bliss/Glückseligkeit“


Donnerstag, 27. Juni 2013

Jhumpa Lahiri: Einmal im Leben


Der Pulitzer-Preis, der Nobelpreis und einige andere Auszeichnungen, das sind schon mal Freifahrtscheine für die nächsten Veröffentlichungen.
Einen solchen Freifahrtschein erhielt Jhumpa Lahiri im Jahre 2000 für Interpreter of Maladies (deutschsprachiger Titel: Melancholie der Ankunft) . 

Sie ist bengalischer Abstammung, wurde 1967 in London geboren, wuchs in Rohde Island auf, ist verheirat und hat zwei Kinder. Heute lebt sie in Brooklyn. (Stand 2008)

Ihr Thema ist das Leben und die Probleme Indo-Amerikaner und sie schreibt aus ihrer Sicht als betroffenen, sie ist, wie oben erwähnt,  selbst eine Indo-Amerikanerin.  

Das alles machte mich dann doch neugierig, der Rowohlt Verlag ist ja auch nicht der Schlechteste und tönte gar auf dem Klappentext, „die Pulitzerpeisträgerin [...] entfaltet in dieser wunderschönen Liebesgeschichte eine ganze Welt voll schicksalhafter Dramatik, mit einer Prosa von suggestiver Eleganz und größtem Feingefühl.“

Ich falle doch immer wieder auf solche Klappentexte rein. aber vielleicht waren es auch meine Erinnerungen an meine Reisen durch das Indien der 1980er Jahre.

Zwischen dem Pulitzer-Preis und dem Erscheinen dieses Buches liegen acht Jahre. Da verfällt eigentlich ein Freifahrtschein. Und irgendwie assoziiere ich mit dem Namen Lahiri jetzt  immer „larifari“.  

Hema ist die Erzählerin dieser  Geschichte. Es ist ihre Geschichte und sie ist verliebt in Kaushik. Also später. Zunächst können die Kinder nichts miteinander anfangen. Man kommt aus Bengalen, lebt in Massachusetts. Irgend jemand stirbt natürlich, die Dramatik muß ja rein, die Zeit vergeht, man begegnet sich in Rom, zwanzig Jahre später, Hema führt ein unbefriedigendes Geliebtendasein, nein nicht mit Kausik, der ist am Ende seiner Fotojournalistenkarriere. Beide treffen sich, die quasi Heimatlosen, kulturell wie geistig.
„Eine jähe, wilde Liebe schlägt sie in den Bann und verheißt einen Hafen, doch ein dunkler italienischer Herbst wirft seine Schatten voraus...“ (Klappentext) Von wegen: Pustekuchen! (Männer, die Frauen in Bengalen sind scheinbar immer noch das, was man ihnen in den 1980er Jahren nachgesagt hat).

Ich sag jetzt nicht, daß es langweilig war, das zu lesen. So ab und an gab es doch einige auffällige Verhaltensweisen, die auf interessante und liebenswerte ethnische Eigenheiten zurückzuführen sind. Bei weitem aber nicht genug, als etwas anderes in diesem Roman zu sehen, als eben, na ja, eine nette Liebesgeschichte,  nicht gerade auf dem Niveau eines Dreigroschenromans, aber eben auch nicht mehr als Unterhaltung, wobei der Grad dessen, was Unterhaltung ist, ja bekanntlich schwer festzulegen ist.

 Es war eben mehr oder weniger Larifari.  Eine typische, stereotype 08/15 US-Bestsellerproduktion.



Jhumpa Lahiri: Einmal im Leben
Aus dem Englischen von Gertraude Krueger

© 2008 by Rowohlt Verlag, GmbH, Reinbek bei Hamburg
Umschlaggestaltung: Anzinger | Wüschner | Rasp, München
Umschlagfoto: David Muench/Corbis


Dienstag, 4. Juni 2013

Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wieviele?


Sechs Jahre stand das Buch, nachdem ich die Einleitung damals gelesen hatte, ganz unten in meinem Bücherregal.  Da sprang mir nichts sofort ins Gesicht.

Wer oder was der Autor war, davon hatte ich auch keine Ahnung und das dieses Buch auf der Spiegel Bestsellerliste ganz oben stand, schreckte mich ohnedies ab. Offensichtlich wurde Richard David Precht in den Jahren, in denen sein Buch in meinem Regal verstaubte immer medienpräsenter und obwohl ich nunmehr seid vier Jahren kein Fernsehen mehr gucke und keine Zeitungen lese, erfuhr ich doch von der teilweise heftig geführten Kontroverse um den Autor und seine Bücher.

Dann stand sie für mich im Raume, die Frage: Wer oder was ist interessanter: Autor oder Buch? Ergo: zweiter Leseversuch!

Die heftige Diskussion um Precht ist natürlich zum größten Teil bullschit  und läßt sich in der Regel auf Neid und Dummheit herunterbrechen, soweit es dieses Buch betrifft. Genaugenommen ist das auch völlig belanglos.

In diesem Buch liefert Precht einen soliden allgemeinen Überblick über das, was 2007, als das Buch erschien, in der Philosophie und sie betreffende Disziplinen  an deutschen Universitäten gelehrt wurde und zum größten Teil, heute noch gelehrt wird.  Nichts Neues und er stellt auch keine neuen Thesen oder Theorien auf.  Kein Grund also, sich aufzuregen.

Precht geht nicht das geringste Risiko ein, nicht einmal das, eventuell nicht verstanden zu werden, denn seine Darstellungen könnten nicht einfacher und unverbindlicher sein und damit zielt er natürlich auf das Verständnis der breiten Masse.  

Wenn er in seiner Einleitung zu diesem Buch schreibt, eine Einführung liefern zu wollen, so darf man natürlich keine wissenschaftliche Einführung in die Philosophie zum Beispiel erwarten.  Hätte er eine wissenschaftliche Einführung im Sinne eines Fachbuches gemacht, wäre dieser Band nie in irgendwelchen Bestenlisten aufgetaucht.

„Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ ist ein nettes einfaches Buch, solide auch in seinem Stil, uninteressant für wissenschaftlich gebildete Leser , selbst wenn die sich nur unterhalten lassen wollen, oder gar Wissenschaftler aus den behandelten Disziplinen, es sei denn sie wollen wissen, ob sie eventuell zitiert wurden oder studieren, wie man schreiben muß, um einen möglichen Bestseller zu landen.

Einem möglichen Leser vermittelt das übersichtliche Inhaltsverzeichnis sofort einen klaren Überblick: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? sind die drei großen Oberbegriffe und dann folgen die Überschriften eben für die einzelnen Kapitel und wenn dieser mögliche Leser der irgendwie neugierig auf Precht oder dieses Buch geworden ist,  sich dann kurz die Zeit nimmt, eine oder zwei Seiten eines ihn interessierenden Kapitels anzulesen,  ergibt sich für diesen sofort eine zuverlässige Antwort auf die von mir oben gestellte Frage, ob das Buch interessant ist.

Was meine Frage, die für mich im Raume stand, angeht, so habe ich meine Antworten gefunden, auch wenn sie anders sein mögen, als gemeinhin erwartet und auch, wenn es neue Fragen aufwirft, was man aber eben von einem soliden Autor, Philosophen und Buch ja auch erwarten kann.  


Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele?

© 2007 Goldmann Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Oliver Weiss
Umschlagmotiv: Oliver Weiss


Samstag, 1. Juni 2013

Alia Yunis: Feigen in Detroit


Der Plot klingt gut: Das Leben amerikanisierter Araber in den USA nach dem 11. September, erzählt von der uralten Fatima aus einem Dorf im Libanon, die das erste ihrer zehn Kinder in Detroit zur Welt brachte, wohin sie ihrem ersten Ehemann gefolgt war, der in den 1950er Jahren wie viele andere Araber für Mister Ford dort Autos baute. Fatima lebt bei ihrem Lieblingsenkel Amir in L.A. der schwul ist und empfängt jede Nacht Scheherazade, der sie Geschichten erzählt, wobei klar ist, daß Fatima nach der 1001 Nacht sterben wird.  

Offensichtlich gibt es eine Zeitung in Minneapolis, die heißt Minneapolis Star Tribune und dann gibt es noch so etwas wie Booklist, und die beiden werden nun auf dem Einband der deutschen Ausgabe zitiert.

„Eine schräge, köstliche Mischung aus Gesellschaftsroman, Familiendrama und Komödie.“ schrieb wohl  die Minneapolis Star Tribune und die Booklist, was immer auch Booklist sein mag, wird wie folgt zitiert: „Ein magischer, scharfsinniger Roman voller Herzenswärme und Humor.“

Da kann man dann schon mal auf die Idee kommen, so etwas zu lesen und was der Einband über Alia Yunis mitteilt, nämlich das sie Schriftstellerin, Journalistin und Filmemacherin sei, als Tochter eines libanesischen Diplomaten in Chicago geboren (Wer war die Mutter?)  und nun in Abu Dhabi an der Uni Kommunikationswissenschaft lehrt, klingt auch nicht schlecht.

Ja, und die ersten fünfzig Seiten lesen sich dann auch noch recht gut.....

Der Roman beginnt mit der 992. Nacht.  Wir sind also in L.A., da wird es dann am Ende tatsächlich auch eine Feige geben, an einem Feigenbaum, der 68 Jahre früher vom Libanon mitgebracht und zunächst in Detroit eingepflanzt wurde – also nix Feigen in Detroit, es sei denn die Autorin benutzt die Feigen als Metapher für die Kinder Fatimas.  Aber ich habe nur wenig Tiefsinniges oder gar Hintergründiges in diesem Roman gefunden, noch ist der Aufbau der Erzählstruktur oder gar der Handlung etwas Besonderes. Also Fatima versucht tagsüber ihrem schwulen Enkel eine Ehefrau zu finden, während Scheherazade auf ihrem fliegenden Teppich alle Kinder irgendwo in den Staaten aufsucht und man so Freud und Leid einer unglaublich riesigen Schar von amerikanisierten Arabern erfährt, flach und langweilig aneinandergereiht, ohne besondere Dramaturgie und ich fragte mich die ganze Zeit, wo denn die köstliche Mischung sei, das Drama, die Komödie, das Magische und Scharfsinnige. Statt dessen Alltägliches und Normales, was uns sicher daran erinnert, daß alle menschliche Existenz bedingt leidvoll ist.

Alles in allem, eine, in meinen Augen und für meinen Geschmack, mäßige, ohne jede literarische Raffinesse, auch beliebige, unspektakuläre Umsetzung des Plots. Schade eigentlich.



Alia Yunis: Feigen in Detroit

Aus dem Amerikanischen von
Nadine Püschel und Max Stadler
© Aufbau Verlag GmbH & Co.KG, Berlin 2010
Umschlaggestaltung hißmann, heilmann, hamburg / Gundula Hißmann