Dienstag, 5. Februar 2013

Stephan Wackwitz: Ein unsichtbares Land


Warum mir dieser Roman nicht gefallen hat? Ganz einfach: Er ist kein Roman und auch kein Familienroman, wie es draufsteht. Dann kommt hinzu, daß ich keinen Wackwitz kenne und in diesem Buch kommen gleich mehrere als die Hauptpersonen vor: Der Enkel Wackwitz, der die ganze Geschichte erzählt, der Vater des Enkels und der Großvater. Es gibt noch ein paar mehr, die mich ebensowenig interessierten und die Linie reichte bis ins Mittelalter zu den Ottonen. Offensichtlich gelang es nicht, die Linie auf Karl den Großen zurückzuführen, was ja für viele heute ein dringendes Bedürfnis zu sein scheint.  Wo komme ich her, wer bin ich, wo gehe ich hin? Was hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin? Das will dieser sogenannte Familienroman vermitteln und darstellen.

Ich habe auch nichts mit den Schlesiern am Hut, außer, daß ich einmal ein paar Jahre eine Freundin hatte, die heute aber in Zürich lebt, und ihre Eltern stammten aus Schlesien und ich hörte dann so einige Berichte über sogenannte Schlesiertreffen, die ja auch lange Zeit durch die Presse geisterten. Ach ja, und ich kannte einen Briefträger, der wie ein Graf aussah und sich als Hobby mit den Schlesiern und den verloren Ostprovinzen beschäftigte, der auch die umfangreichste Videosammlung von pornographischen Filmen hatte. Aber das nur am Rande.

Die Wackwitz haben also was mit Schlesien zu tun und wohnten in der Nähe von Auschwitz, auch als es noch Habsburgisch war.  Doch kommt eher Anhalt vor, und die Weber, womit wir im 16. Jahrhundert wären und dem Protestantismus über dem wir dann bei Rudi Dutschke landen, von dem der Enkel auch einiges zu erzählen hat, wie auch von Ernst Bloch, neben dem er wohl mal stand. Übrigens stand der Großvater mal neben Adolf Hitler, als Hitler noch ein Niemand war, und jetzt weiß ich es nicht mehr so genau, ob es der Vater dann in Berlin war, der in Rufweite von Adolf Hitler stand, als dieser mit Rosen beworfen wurde.  Ist auch egal, weil es mich ja eigentlich nicht interessierte, obwohl ich mich jetzt frage, wie denn das möglich war, weil doch eigentlich der Großvater Pastor in Namibia war und irgend jemand in Kanada in Kriegsgefangenschaft war, weil 1939 das Schiff vor Afrikas Küsten, welches auf dem Einband abgebildet ist, mit den Wackwitz aus Namibia versenkt wurde, was aber alle überlebt hatten und die Männer zumindest Zigarre rauchend im Rettungsboot saßen. Ob sich der Enkel an diese Geschichte 2001 erinnerte, als er in Tokio in einer Buchhandlung irgendein Buch gekauft hat, oder in Krakau, wo er wohnte und arbeitete und die Geschichten des Großvaters gelesen hat, weiß ich jetzt in der Erinnerung nicht mehr so genau.

Natürlich habe ich mich die ganze Zeit gefragt, was soll dieser ganze Scheiß, was will der Autor eigentlich damit sagen und wie klingt denn das Ganze und was hat das mit Literatur zu tun. Apropos Literatur: Marcel-Reich Ranicki macht der Autor mit einem Satz platt und stellt ihn in die Ecke zu den Deutschlehrern!  Ich denke, aufdröseln läßt sich diese ganze Familiengeschichte natürlich nur von der Person des Autors. Und der ist zwar kein Deutschlehrer, aber auf mich wirkt er wie ein „Bildungskleinbürger“; ein Germanist, ein Historiker, ein Lektor, ein Leiter eines Goethe-Institutes, der schon ein paar Aufsätze und ein paar Bücher geschrieben hat. Und seinen Großvater kann ich irgendwie recht gut verstehen, wenn dieser so gut wie nicht mehr, mit seinem Enkel geredet hat.

Ein unsichtbares Land erzählt eine persönliche Familiengeschichte. Persönliche Familiengeschichten haben wir alle! Ich erzähle hier jetzt nicht, was mir meine Großmutter mütterlicherseits über Nikolaus II. erzählt hat, oder der Sohn von Hans Martin Schleyer. Normalerweise werden solche Geschichten nicht als Roman verkauft und selten werden sie in renommierten Verlagen veröffentlicht.

Jetzt habe ich noch gar nichts über Stephan Wackwitz’ Schreibstil gesagt: Es gibt sicher Bildungsbürger, die lange Sätze, inhaltliche und zeitliche Sprünge mögen. Wenn diese dann Wackwitz heißen, Wackwitz kennen, Schlesier sind, Briefträger oder Lektoren, dann, ja dann denke ich, finden sie auch irgend etwas in diesem Buch.



Stephan Wackwitz: Ein unsichtbares Land

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2003
Umschlaggestaltung: +malsy
Titelabbildung: Die „Adolph Woermann“
Foto von Gustav Wackwitz